Anonym: Betroffene berichtet

In unserer Reihe „5 vor 12“ führen wir auch anonyme Interviews durch. Wir freuen uns, euch heute den ersten Teil zeigen zu können!

Vorstellung

Alter: zwischen 22 und 27 Jahren 

Beruf/Berufung: Medizinstudent*in 

DIE FÜNF – Einstiegsfragen: 

  1. Mentale Gesundheit ist für mich … 

… ein Leben, aus dem ich nicht ständig in den Urlaub ausbrechen will. 

  1. Was tust du persönlich für deine eigene Psychohygiene/um Abstand von deinem Berufsalltag zu bekommen? 

Um Abstand zu bekommen: Sport. Tagebuch schreiben. Zwei Klassiker. 

Für die Psychohygiene: Schlafen. Seriously. Schlafen ist Ausruhen für die Seele. Man kann immer mal wieder etwas weniger wegstecken, klar. Wer von uns hat das noch nicht getan?! Aber gerade wenn es mir schlechter geht, diszipliniere ich mich zu einem geregelten (!) Schlaf. Also nicht irgendwann. Schlafhygiene mit allem drum und dran. Nach 16.00h kein Kaffee, Handy abends ausschalten, tagsüber nicht schlafen, abends lesen, und so weiter. Individuell ist da für jeden etwas anderes gut, aber so oft wie wir es Patienten raten, wissen wir im Grunde genommen alle, in welche Richtung ich deute. 
Das Schlafen löst natürlich keine Probleme. Aber ausgeschlafen sind die Probleme deutlich leichter zu meistern. 

  1. Worin siehst du erste „Warnsignale“ beginnender psychischer Probleme bei Kolleg*innen und/ oder Kommiliton*innen und was tust du persönlich, wenn du diese bemerkest? 

Das ist furchtbar schwierig so zu verallgemeinern natürlich, da unter die Kategorie „psychischer Probleme“ gleich eine ganze Menge Probleme fallen und auch die können sich bei jedem Menschen ganz anders bemerkbar machen. Mir persönlich fallen besonders Veränderungen auf. Jemand (eigentlich pünktliches) kommt immer häufiger zu spät, sagt häufiger ab, die Haut verändert sich, die Haltung, der Ausdruck in den Augen. Vielleicht werden sie auch häufiger krank. Du merkst, dass es ihnen nicht gut geht, aber es fällt schwer, einen Finger darauf zu legen. Wenn das aber über eine längere Zeit so geht, kann man da ruhig mal genauer nachhaken! 

Ich finde es dann immer wichtig, einfach die Möglichkeit zum Gespräch anzubieten. Und zwar nicht so sehr in der Theorie („Wenn du jemanden zum Reden brauchst…“), sondern vielmehr in der Praxis. Immer mal wieder einen Kaffee trinken zusammen, Abendessen oder einfach eine gemeinsame Mittagspause machen. 

  1. Was macht es deiner Erfahrung nach gerade für Behandelnde/Helfende so schwer, selbst Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen? 

Stigma. Stigma. Stigma. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, das man in diesem Kontext hören kann als Sätze wie: „Wie willst du dich denn jemals um Patienten kümmern, wenn du nicht einmal selbst richtig gesund bist?“ 

Aber das ist natürlich eine arg konservative „Patientenperspektive“, die du von anderen Studis/ Ärztinnen/ Pflegern nicht so hören wirst. Klar, wenn es dir nicht gut geht, kannst du deinem Job nicht richtig nachgehen. Aber deshalb kümmern wir uns ja um unsere mentale Gesundheit und machen uns dann wieder an die Arbeit.J 

Wir sind auch nur Menschen, ganz offensichtlich. Als Patient*in setzt man sich damit natürlich manchmal nicht so gerne auseinander, aber deine Kollegen und Kommilitoninnen wissen und verstehen das. 

  1. Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, um das Thema „psychische Störungen“ besonders bei im Gesundheitswesen arbeitenden Menschen zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren? 

Das Streichen des Worts „Störungen“ vielleicht. Ich habe leider auch keine gute Alternative dazu im Angebot. Aber die harte Katalogisierung in „krank“ und „gesund“ entspricht eben einfach nicht der Realität. Wir bewegen uns alle auf einem Spektrum (bzw. verschiedenen Spektren). Und manche liegen da im statistischen Normbereich und manche sind Ausreißer. So wie eine gewöhnliche Normalverteilung eben. 

Wenn ich nun anfange in dieser Perspektive zu denken, nehme ich meine Probleme vielleicht früher ernst und gehe sie an. Und eben nicht erst, wenn ich eine magische Grenze überschritten habe, und jemand den imaginären Stempel „krank“ draufpackt. 

Die Frage aus dem Forum: 

  1. Immer wieder diskutieren wir bei Blaupause darüber, wie ein ideales Krankenhaus, ein idealer Arbeitsplatz im Gesundheitswesen aussehen müsste. Was wäre dir in einer ‘idealen Welt’ besonders wichtig? 

Ein solidarischer Umgang im Team. Mindestens! Und ganz ernsthaft. Ich möchte nie wieder Ausdrücke hören wie „mit Ankündigung krank“ oder „Wie, die ist schon wieder krank?“, „Mmmh, war ja klar, dass der an Silvester krank macht.“ Und alles in dieser Richtung. Klar ist es frustrierend, unterbesetzt zu sein. Aber wenn wir uns immer zur Arbeit schleppen, obwohl es eigentlich schon nicht mehr geht, halten wir doch auch weiterhin die Illusion aufrecht, gar nicht so schlecht besetzt zu sein. Und auch unseren Patientinnen tun wir damit doch keinen Gefallen!  

Die Fragen zur Expertise:  

  1. Welche Erfahrungen hast du im Studium, in Praktika/ Famulaturen gemacht, wenn du in eine schwierige Phase gerutscht bist und/ oder von deiner Erkrankung erzählt hast?  

Fast ausschließlich positive Erfahrungen! Die Hilfsbereitschaft ist überall da. Dass ich so ein grandioses Netzwerk an Menschen um mich herum habe, hätte ich niemals auch nur für möglich gehalten. Es ist total hart, den ersten Schritt zu machen. Aber du wärst überrascht, wie viele andere Menschen in meinem Umfeld inzwischen über ihre Probleme beginnen zu reden und mich um Rat bitten.  

  1. Gibt es ein Stereotyp/ Vorurteil, das dir immer wieder begegnet, wenn du von deiner Erkrankung erzählst? 

Die Aussage (des Gegenübers): „Also ICH brauche den Stress ja einfach.“ In variabler Form. 

Dieses Statement verfehlt das Thema grandios! 

  1. Welchen Umgang mit dir und anderen selbstbetroffenen Gesundheitsberufler*innen würdest du dir von Kolleg*innen und Kommiliton*innen wünschen? 

Keinen anderen Umgang als den mit anderen auch! Ich habe in Phasen, in denen es mir wirklich dreckig ging, am liebsten Zeit mit Menschen verbracht, die mit mir umgegangen sind wie sonst auch. Alles an Fingerspitzengefühl und Herumdrucksen um die richtigen Worte ließ mich nur noch mehr „anders als die anderen“ fühlen. 

  1. Warum spricht kaum jemand über seine*ihre eigene Betroffenheit? 

Die Angst vor Schwäche. Und davor, Schwäche zu zeigen. Dabei ist es so wichtig zu verstehen, dass Betroffenheit nicht gleichbedeutend mit persönlicher Schwäche ist. Fast sogar schon im Gegenteil: Ist eine solche schwierige Phase einmal überwunden, können wir unsere Erfahrungen in weise Ratschläge und sanftes Verständnis für unsere Patienten verwandeln.  

  1. Vor diesem Hintergrund und mit deinen Erfahrungen: Welchen Wunsch hast du an Blaupause und unser Engagement? 

Schenkt Betroffenen Hoffnung. Erfahrungen anderer Menschen machen Mut. Und den braucht man manchmal einfach um durchzuhalten. 

DIE ZWÖLFTE – Abschlussfrage 

  1. Welchen Rat möchtest du Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten oder sich in einer entsprechenden Ausbildung befinden, hinsichtlich ihrer eigenen mentalen Gesundheit mit auf den Weg geben? 

Deine eigene Gesundheit ist ebenso wichtig wie die deiner Patienten. Der Glaube, es gehe einem „nicht schlecht genug“ um das Recht auf Hilfe zu haben, ist noch ziemlich verbreitet, denke ich. Aber das ist natürlich irgendwie blödsinnig. Habt ihr etwa schon einmal einen Patienten abgewiesen mit dem Hinweis, sie sollen bitte erst wiederkommen, wenn der Tumor größer ist oder der Bluthochdruck zum ersten Herzinfarkt geführt hat? Na also.  

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