Annahme 1 – Menschen sind komplexe Wesen

Wir begreifen den Menschen als ein komplexes Wesen. Hierzu gehören folgende Ebenen: Körper, Gefühl, Verstand, Handlung, sozial-kommunikativ und kulturell-ethisch.

  • Bedeutung: In unseren Vorhaben möchten wir, so gut wie es uns möglich ist, die verschiedenen Ebenen des Menschen berücksichtigen (Thematik z. B. Bewegung & sensomotorische Fähigkeiten; Emotionen; Psyche; Selbstverwirklichung; Bindung & Kommunikationstechnologien; Intentionen & Bedürfnisse).
  • Ziele: Wir wirken auf die Berücksichtigung der verschiedenen Ebenen (angehender) Fachkräfte in den Strukturen des Gesundheitssystems, im konkreten Berufsalltag und im Umgang mit der eigenen Person hin.

Annahme 2 – Menschen handeln, um psychische Grundbedürfnisse zu erfüllen

Essentiell für die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden eines Menschen ist nach Grawe (2000) die Erfüllung vier grundlegender psychischer Bedürfnisse: Bindung, Orientierung/Kontrolle, Selbstwerterhöhung/Selbstwertschutz und Lustgewinn/Unlustvermeidung. Alles, was wir Menschen tun, lässt sich demnach auf diese grundlegenden Bedürfnisse zurückführen. Alter/Entwicklungsstand, Religion/Spiritualität, kulturelle und soziale Einbettung sowie die individuelle Persönlichkeit beeinflussen somit die Ausprägung und Ausgestaltung/Auslebung von Handlungen, die letztlich wieder der Bedürfnisbefriedigung dienen. Gelingt das nicht oder unzureichend können die gesunden Anteile des Menschen geschwächt bzw. kranke Anteile gefördert werden. Eine psychische Erkrankung kann entstehen. Da die Befriedigung der oben genannten Bedürfnisse so grundlegend wichtig für jeden Menschen ist, verdienen sie besonderes Augenmerk und Schutz, wenn es um das Thema der mentalen Gesundheit geht.

  • Bedeutung: Wenn wir uns fragen, warum Menschen handeln, dann legen wir ein besonderes Augenmerk auf u.a. psychische Grundbedürfnisse. Weitere Triebfedern des Handelns schließen wir dadurch nicht aus. Wir verbinden intentionale Handlungen mit dem Bemühen um Bedürfnisbefriedigung.
  • Ziele: Wir setzen uns dafür ein, dass psychische Grundbedürfnisse im Gesundheitssystem mehr Beachtung finden. (Angehende) Fachkräfte sollten so handeln können, dass sie nicht gegen ihre eigenen psychischen Bedürfnisse arbeiten. Wir setzen uns dafür ein, dass jegliche Handlung ernst zu nehmen ist. Anstelle von Bagatellisierung oder unsichtbar Machen setzen wir auf Respekt und Austausch. Wir stehen dafür ein, dass psychische Erkrankungen unter Fachkräften enttabuisiert werden. Denn auch (angehende) Fachkräfte bewegen sich nach unserer Ansicht auf einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum und haben psychische Grundbedürfnisse. Wir setzen uns dafür ein, dass anstelle von Perfektionsansprüchen und Entmenschlichung eine reale Sicht auf (angehende) Fachkräfte treten darf. Wir halten es für sinnvoll, die Realität ehrlich zu betrachten und zu besprechen.

Annahme 3 – Menschen sind nicht-binäre, biopsychosoziale Wesen

Dabei verstehen wir den psychischen Gesundheits-Krankheits-Zustand als ein Kontinuum, in dem mal gesündere und mal kränkere Anteil im Vordergrund stehen können. Beeinflusst werden diese Anteile von bio-psychosozialen Aspekten.

  • Bedeutung: Wir versuchen, in unserem Denken die Binarität gesund | krank zu verlassen zugunsten eines fluideren Verständnisses. Wir betrachten den Menschen ganzheitlich.
  • Ziele: Wir setzen uns für eine Sicht auf (angehende) Fachkräfte ein, die ein dynamisches Verständnis von Gesundheit und Krankheit zulässt. Wir stellen Komplexität vor Reduktion. Wir streben ein ganzheitliches Bild von (angehenden) Fachkräften an.

Annahme 4 – Soziale Identität beeinflusst Handlungen

Neben psychischen Grundbedürfnissen spielt auch die soziale Identität eine wichtige Rolle, wenn es um Handlungen geht.

  • Bedeutung: Bei Blaupause denken wir Alter & Entwicklungsstand, Religion/Spiritualität, Geschlechter & sexuelle Identitäten, Behinderungen durch die Gesellschaft und Debatten um Funktionalitäten, sozioökonomische Herkunft, Selbst- und Fremdzuschreibungen zu Gruppen sowie andere kulturelle und soziale Einbettung mit. Wenn es um Handlungen von Fachkräften oder unsere Handlungen in der Vereinsarbeit geht, fragen wir uns: „Wer macht was aus welcher gesellschaftlichen Position heraus und was beeinflusst die handelnde Person?“ Wenn wir von den (angehenden) Fachkräften sprechen, dann nehmen wir aus Gründen der Verständlichkeit in Kauf, dass einige wichtige Aspekte sozialer Identität und Vielfalt abgeschnitten werden. In der Praxis sollte dies jedoch wann immer möglich beachtet werden.
  • Ziele: Wir setzen uns dafür ein, die Vielzahl sozialer Unterschiede und ihre Implikationen in der Gesellschaft zu betrachten. Wir sind für eine Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Uns ist bewusst, dass jede Fachkraft mit eigener Betroffenheit darüber hinaus intersektional gesehen werden muss. Sie ist also nicht nur psychisch erkrankt, sondern es macht situativ ebenso Unterschiede, welche Weltanschauung sie vertritt, welchem Geschlecht sie sich zuordnet oder von außen zugeordnet wird, usw. Diskriminierung findet nicht nur in einer Sektion statt. Jede (angehende) Fachkraft ist einzigartig in ihrer sozialen Prägung, ihrer sozialen Identität und in ihren Lebens- und Arbeitserfahrungen.

Annahme 6 – Menschen werden von verschiedenen Kultursphären beeinflusst

Uns ist bewusst, dass psychische Erkrankungen je nach Kultursphäre anders verstanden werden können und in einem Raum unterschiedliche Haltungen zu diesem Thema existieren können.

  • Bedeutung: Wir sind uns bewusst, dass es verschiedene kulturelle Sphären gibt, die an bestimmten Stellen ineinander übergehen. Es gibt keine voneinander abgetrennten Kulturkreise. Ebenso nehmen wir Abstand von der hegemonialen Vorstellung einer „wahren/richtigen“ Kultur. Aus diesem Verständnis heraus berücksichtigen wir, dass psychische Erkrankungen je nach Kultursphäre und Störungsbild graduell anders verstanden werden. In einem „Raum“ können so unterschiedlichste Haltungen zu dem Thema existieren.
  • Ziele: Wir plädieren für eine Berücksichtigung verschiedenster Verständnisse und Haltungen zum Thema psychische Erkrankungen. Es geht uns dabei nicht darum, alle Ansichten einfach relativiert nebeneinander stehen zu lassen. Wir setzen uns für eine Diskussion auf Augenhöhe ein, um Ethnozentrismus entgegenzuwirken. Würde und Akzeptanz sollen dabei weiterhin als Leitprinzipien dienen.

Annahme 7 – Menschen organisieren ihr Leben und kommunizieren mithilfe von Kategorisierung

Der Mensch organisiert sein Leben und seine Umwelt, indem er Kategorien erschafft. Hieraus entstehen Kommunikationssysteme, die sowohl einer gesellschaftlichen Wirklichkeit entnommen werden, als auch soziale Wirklichkeiten bedingen. So haben Klassifikationssysteme wie das DSM oder der ICD einen Einfluss auf Wahrnehmung, Interpretation und Verhalten Betroffener und Nicht-Betroffener. Sie beeinflussen, wie Menschen andere Menschen Kategorien zuordnen, welche Merkmale und Eigenschaften ihnen zu- oder abgesprochen werden und wie mit Personen einer Kategorie umgegangen werden soll. Das passiert unter Professionellen ebenso wie in der Alltagswelt, wobei es auch hier Wechselwirkungen gibt. Dieser gesellschaftlich gewünschte Sollzustand ist wiederum zurückgebunden an wissenschaftliche Überzeugungen und Moralnormen innerhalb einer Kultursphäre. Neben DSM und ICD gibt es viele andere „Kulturprogramme“, aus denen Infrastrukturen entstehen. Der Mensch vertraut gerne auf die durch ihn entstandenen Strukturen. Sie geben Halt und Orientierung. Erst bei einer Irritation kommt der Mensch zur Kritik und beginnt, sich nicht weiter durch Institutionen der Wissenschaft oder andere Autoritäten „regieren“ zu lassen (vgl. Foucault, Michel; Seitter, Walter 1992).

  • Bedeutung: Da Kategorien ein grundlegendes Element unserer Kommunikation sind, schauen wir achtsam auf Klassifizierungen und Implikationen im Gesundheitssystem. Uns ist wichtig, dass jede Kategorie einen sozialhistorischen Kontext hat, aus dem sie entstanden ist. Gerade hier lohnt sich ein Blick auf Kommunikationstechnologien wie das DSM oder den ICD.
  • Ziele: Wir stehen ein für das Hinterfragen bestehender Kategorien im Gesundheitssystem. Dabei können (angehende) Fachkräfte viele Kategorien nicht nur selbst verwenden, sondern diesen auch zugeordnet werden (z. B. Störungsbilder). Wir finden es dabei wichtig, gerade dort hinzuschauen, wo Irritationen auftreten (z. B. selbststigmatisierende Aspekte, Unvereinbarkeit mit moralischen Überzeugungen, …).

Annahme 8 – Menschen haben das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung

Der Mensch als autonomes Wesen (= Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung) hat daher grundlegend ein Recht auf Selbstbestimmung. Angelehnt an den Humanismus vertritt Blaupause die Haltung, dass der Mensch nach der Entfaltung seiner Persönlichkeit/Selbstverwirklichung strebt. Was dies für Einzelne bedeutet, unterscheidet sich aufgrund von Prägungen und Neigungen stark und muss trotz unterschiedlicher Vorstellungen grundsätzlich geachtet und respektiert werden. Dazu gehört es, die Autonomie Einzelner zu achten, auch wenn das betreffende Individuum seelisch oder körperlich erkrankt ist. Selbst wenn die aktuelle Selbstbestimmung nicht gegeben ist, so können habituelle und biografische Selbstbestimmung beachtet werden (vgl. Lop-Hüdepohl 2007).

  • Bedeutung: Wir achten darauf, dass unsere Arbeit im Verein nicht die Autonomie oder Selbstbestimmung Dritter einschränkt. In einigen Angeboten können wir Selbstverwirklichung, Autonomie und Selbstbestimmung mit aufgreifen.
  • Ziele: Fachkräfte sollen als autonome Menschen gesehen werden, die nach Selbstverwirklichung streben. Unabhängig von ihrem mentalen Gesundheitszustand sollen Autonomie und Selbstbestimmung gewahrt werden.

Annahme 9 – Menschen sind Moralwesen

Wie bereits angerissen, verstehen wir den Menschen auch als Moralwesen. Er möchte nicht gegen die eigene Moral handeln. Fachkräfte im Gesundheitswesen handeln in institutionellen Kontexten, die die Würde von Menschen verletzen können: „(…) Avishai Margalit hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Missachtung der Würde auch im Verhältnis der staatlichen Institutionen zum Bürger erfolgen kann (…). Dies ließe sich auch für das Gesundheitssystem zeigen. Angehörige von Gesundheitsberufen, die unter burn out

[sic!]

leiden und möglicherweise ihre Arbeit aufgeben, tun dies nicht nur aufgrund physischer und psychischer Überlastung, sondern vor allem auch, weil sie sich gezwungen sehen, gegen ihre eigenen moralischen Überzeugungen zu handeln, sich von sich selbst entfremden, und das als Verletzung ihrer eigenen Würde empfinden.“ (Rehbock, 2009) Für Deutschland ist hier die Soziale Marktwirtschaft mitzudenken. Im Gesundheitssystem zeigen sich negative Implikationen neoliberaler Strukturen in krankheitsfördernden Policies und Arbeitsstrukturen.

  • Bedeutung: Wir schauen auch auf den institutionellen Kontext, in dem Fachkräfte tätig sind. Dieser selbst verletzt an einigen Punkten strukturell die Würde von Menschen. Darüber hinaus denken wir das sozialmarktwirtschaftliche System in Deutschland mit.
  • Ziele: Wir finden es wichtig, dass alle Seiten des Gesundheitssystems betrachtet werden. Dazu gehört auch die Beleuchtung der Würde verletztenden Arbeitsbedingungen seitens Behandelter und Behandelnder. So ist das Handeln von Pflegekräften unter Zeitdruck und dem Anspruch der Umsatzgenerierung in Krankenhäusern häufig ein Handeln gegen die eigenen moralischen Überzeugungen. Dies kann auf Dauer zu Erschöpfung und Demotivation führen und sich somit negativ auf den Gesundheitszustand auswirken.

Annahme 10 – Menschen sind Sozialwesen

Der Mensch ist auch Sozialwesen. Sein Streben nach Autonomie bedeutet nicht Autarkie, sondern im Gegenteil das Bedürfnis nach sozialen Bindungen (vgl. oben Grawe). Aus ihnen bezieht er Orientierung und Stärke. Dabei wird der Mensch von sozialen Motiven angetrieben, materielle Be- und Entlohnung spielen eher eine untergeordnete Rolle. Im Miteinander erarbeitet sich der Mensch Identität und Zugehörigkeit. Kommt es jedoch zu Störungen im System Mensch (z. B. Erschöpfungsdepression), kann es zu Diffusionen in Identität, Zugehörigkeit usw. führen. Die daraus resultierenden Wechselwirkungen zwischen sozialem Netzwerk und der einzelnen Person sind dabei komplex.

  • Bedeutung: Wir schauen nicht nur auf die einzelne Fachkraft, sondern immer auch auf das System, in dem sich sie befindet. Menschen befinden sich auch analog in sozialen Netzwerken, in denen komplexe Prozesse der Wechselwirkungen stattfinden.
  • Ziele: Wir betonen einerseits die angemessene Entlohnung der Arbeit im Gesundheitssystem sowie die Wichtigkeit sozialer Motive und Anreize. Wir setzen uns für systemische Perspektiven auf das Gesundheitssystem ein.