Sollen, können – und stigmatisieren – eine Replik auf das Erlanger Kompetenzprofil

von Katharina Eyme, Eva Kuhn und Felix Radtke

Diskussionsbeitrag zu „Auswahl von Medizinstudierenden: Sollen, können – und aushalten“ (https://www.aerzteblatt.de/archiv/201665)

Das Erlanger Projekt ‚KomMedment‘ thematisiert zunächst erfreulicherweise die mentale Gesundheit (angehender) Ärzt*innen und benennt Risikofaktoren sowie resultierende psychische Belastungen. Schlussfolgerung: Bei der Auswahl Medizinstudierender sollen „diejenigen identifiziert [werden], die […] in ihrem klinischen Alltag psychisch stabil bleiben“. Was zunächst wie ein begrüßenswertes Ziel klingt, ist ethisch jedoch mehr als fragwürdig. Zudem stellt sich die Frage, ob die Mittel der Autor*innen überhaupt zu einer gesünderen Studierendenschaft führen. Studienanwärter*innen geraten in einen Konflikt zwischen beruflichen Wünschen und Persönlichkeitsmerkmalen – welcher gegebenenfalls zulasten der Gesundheit ausgetragen wird. Gesundheitsberufler*innen geben schon jetzt an, psychische Belastung zu verbergen, da sie negative Konsequenzen für ihre berufliche Zukunft befürchten (1). Wo Sensibilität beziehungsweise Vulnerabilität als Schwäche etikettiert werden, kann sich eine Kultur entwickeln, in der es zur Kunst wird, derartige „Schwächen“ zu maskieren. Dies führt langfristig dazu, dass statt gesunder und gesundeter Studierender, die angstfrei Hilfsangebote in Anspruch nehmen, eine Generation Nachwuchsmediziner*innen herangezogen wird, die hinter einer starken Fassade gegebenenfalls immer kränker wird. Wer versucht, nur Studierende ohne die vermeintlichen „Makel“ herauszuselektionieren, darf sich zudem über sinkendes Empathievermögen der Ärzteschaft nicht wundern. Dass erstens erhobene Informationen (2) nicht herangezogen werden, um Studierende zu unterstützen, und zweitens interindividuelle Unterschiede und Persönlichkeitsmerkmale, die durchaus gute Ärzt*innen auszeichnen können (3), per se negativ konnotiert werden, ist besorgniserregend. Mit dem Auswahlverfahren wird die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen weiter gefördert und die Vision eines Ausbildungssystems, in dem Studierende mit unterschiedlichen Persönlichkeiten individuell gefördert werden, rückt weit in die Ferne.

  1. Tay S, Alcock K, Scior K: Mental health problems among clinical psychologists: Stigma and its impact on disclosure and help-seeking. Journal of Clinical Psychology 2018. doi: 10.1002/jclp.22614.
  2. Vgl. z.B. von einer Gruppe um dieselben Autoren:  Scholz M, Neumann C, Steinmann C et al.: Entwicklung und Zusammenhang von Arbeitsverhalten, Burnout-Beschwerden und Lebensqualität bei Studierenden der Humanmedizin vom Studienstart bis zum ersten Staatsexamen. Psychother Psych Med 2015; 65: 93-98.
  3. Chaitoff A, Sun B, Windover A, Bokar D, Featherall J, Rothberg MB, Misra-Hebert AD: Associations Between Physician Empathy, Physician Characteristics, and Standardized Measures of Patient Experience. Acad Med 2017; 92 (10): 1464-1471. 

Die Blogeinträge spiegeln die persönlichen Meinungen und Erfahrungen der Autoren wider.

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