Schlafmangel unter Ärzt*innen

Ein anonymer Gastbeitrag.

Zu hohe Arbeitsbelastungen, Personalmangel, zu wenig Zeit, zu viel Bürokratie. Dies sind Schlagwörter, die man oft in Bezug auf den Arztberuf liest. Diese Schlagwörter spiegeln sich auch in der aktuellen Mitgliederbefragung des Marburger Bundes wider. 49% aller Befragten gaben dort an häufig überlastet zu sein. Jeder fünfte Klinikarzt erwägt gar einen Wechsel in einen anderen Beruf. „Rund drei Viertel der Befragten (74%) haben das Gefühl, dass die Gestaltung der Arbeitszeiten sie in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, z.B. in Form von Schlafstörungen und häufige Müdigkeit“ [1]. Besonders häufig sind junge Assistenzärzt*innen von der Überlastung betroffen und müssen teilweise in 16-Stunden- und 24-Stunden- Schichten arbeiten [2]. Hohe Anforderungen, Konkurrenzfähigkeit, lange Arbeitszeiten und Schlafentzug werden als Hauptfaktoren für deren hohe Belastung genannt. 

Eine Ursache der Überlastung, die in der wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Auseinandersetzung häufig zu kurz kommt, ist der Schlafentzug. Das, obwohl dessen negative Auswirkungen sehr ernst zu nehmen sind. 

Betrachtet man zunächst die individuellen Folgen von Schlafentzug für die Ärzt*innen, erhöht sich unter anderem das Risiko, an Morbus Alzheimer, kardiovaskulären Erkrankungen und diversen Arten von Krebs zu erkranken. Beispielsweise zeigt sich bereits nach einer Nacht mit nur vier bis fünf Stunden Schlaf eine Reduktion der natürlichen Killerzellen um 70%, welche eine wichtige Funktion in der Bekämpfung von Krebszellen übernehmen [3]. Schläft man regelmäßig weniger als sechs bis sieben Stunden pro Nacht, wird die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, bereits verdoppelt. Betrachtet man Morbus Alzheimer, ist unzureichender Schlaf einer der maßgebenden Faktoren, die beeinflussen, ob ein Mensch im Laufe seines Lebens erkrankt oder nicht [3]. 

Jedoch betrifft Schlagmangel nicht nur die Gesundheit der Ärzt*innen selbst. Studien belegen, dass bereits leichter Schlafmangel zu verringerter kognitiver Leistungsfähigkeit führt, wie beispielsweise zu reduzierter Aufmerksamkeit und Konzentration. Tückisch dabei ist, dass eine solche Reduktion von den Betroffenen selbst sehr schlecht eingeschätzt werden kann. Meist unterschätzen diese ihre Beeinträchtigung und sind der Auffassung, sie seien voll leistungsfähig. Weiterhin gewöhnen sich Menschen, die unter chronischem Schlafentzug stehen, an ihre verminderte Leistungsfähigkeit sowie reduzierte Aufmerksamkeit, ohne ihre Einschränkungen fortan wahrzunehmen [3]. Arbeiten Ärzt*innen unter den genannten Bedingungen kann dies folglich Auswirkungen auf die Qualität der Behandlung ihrer Patient*innen mit sich bringen. Es wird angenommen, dass das Risiko eines ernsthaften medizinischen Fehlers bei elektiven Eingriffen um 170% steigt, wenn ein*e Chirurg*in in der vorherigen Nacht weniger als sechs Stunden geschlafen habe. Nach US-amerikanischen Studien begeht eine*r von fünf Ärzt*innen in seiner*ihrer Weiterbildung einen schlafbedingten medizinischen Fehler, der zu einem signifikanten Patientenschaden führt [3]. 

Weiterhin gilt: Je länger dabei der Schlafentzug besteht, desto höher sind auch die kognitiven Einschränkungen. Es ist nachgewiesen, dass ein Ausbleiben von Schlaf von über 17 Stunden den Menschen im gleichen Maße beeinträchtigt als hätte er 0,5 Promille im Blut [4]. In Deutschland werden in Kliniken von Ärzt*innen meist fünf bis sieben 24-Stunden-Schichten pro Monat absolviert, wobei die Anzahl beispielsweise bei Personalengpässen noch weiter ansteigen kann [5]. In diesen langen Arbeitsschichten ist zwar Schlaf eingeplant, jedoch kann dieser nicht in jedem Fall im vorgegebenen zeitlichen Rahmen oder auch in Bezug auf Qualität voll ausgeschöpft werden. Gründe hierfür sind beispielsweise ein hohes Patientenaufkommen, hohe Erwartungen der Vorgesetzten oder unklare Zuständigkeiten. 

Zu diesen system-immanenten Faktoren kommen meist noch gesellschaftliche Erwartungen an den „allwissenden“ Arzt, die „allzeit bereite“ Ärztin, die zu überschätzter Selbstsicherheit führen können, obwohl aufgrund von unzureichendem Schlaf die geforderte Leistung nicht angemessen erbracht werden kann. Andere wiederum spüren zwar, dass ihre Leistung gemindert ist, verdrängen oder überspielen dies aber, um keine Schwäche zu zeigen. 

Schlafmangel und Schlafentzug ist entsprechend ein komplexes, vielschichtiges Problem – und wird nicht von heute auf morgen aus dem Gesundheitswesen verschwinden können. Dennoch könnten die Arbeitsumstände schon jetzt und heute verbessert, Ärzt*innen damit entlastet werden und damit zugleich eine bessere Patientenversorgung gewährleistet werden. Naheliegend ist beispielsweise eine verbesserte Zeitein- und Schichtverteilung in der Ausbildung junger Ärzt*innen, um ihre eigene Gesundheit, aber auch die der Patienten zu schützen. Zusätzlich wird im Medizinstudium allgemein dem wichtigen Thema Schlaf zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn man in Betracht zieht, dass Schlaf circa ein Drittel des eigenen sowie des Lebens der Patient*innen ausmacht, und welche Folgen ein chronischer Schlafentzug mit sich bringt, lässt dies erstaunen.  

Literatur 

[1] Marburger Bund (2019): MB-Monitor 2019. Überlastung führ zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen. URL: https://www.marburgerbund.de/mb-monitor-2019 (zuletzt abgerufen: 30.05.2020). 

[2] Bohlmann, Katrin (2020): Ärzte klagen über zu hohe Arbeitsbelastung, in: Deutschlandfunk Kultur. Beitrag vom 23.01.2020. URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/stress-ueberstunden-burnout-aerzte-klagenueber-zu-hohe.1001.de.html?dram:article_id=468568 (zuletzt abgerufen: 30.05.2020). 

[3] Walker, Matthew (2018): Das große Buch vom Schlaf. Die enorme Bedeutung des Schlafs. Goldmann Verlag: München. 

[4] Williamson AM, Feyer A (2000): Moderate sleep deprivation produces impairments in cognitive and motor performance equivalent to legally prescribed levels of alcohol intoxication. Occupational and Environmental Medicine 2000;57:649-655. 

[5] Esser, Heinz-Wilhelm (2020): Arbeiten wir nach Vorschrift, bricht das System zusammen, in: Focus. Beitrag vom 4.01.2020. URL: https://www.focus.de/gesundheit/experten/alltag-im-krankenhaus-arzt-erzaehlt-arbeiten-wir-nach-vorschrift-bricht-das-system-zusammen_id_9577213.html (zuletzt abgerufen: 30.05.2020). 

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