Meinungsartikel zum Gesetzentwurf zur Änderung der Ärztlichen Approbationsordnung

Ein auf Wunsch anonym veröffentlichter Beitrag.

Unser Gesundheitssystem ist durch COVID-19 im Ausnahmezustand. Fieberhaft werden Lösungen für Probleme gesucht, von denen eines der dringlichsten der Personalmangel ist. Nun sollen auch wir Medizinstudierende mitanpacken. Unsere Bereitschaft zur Hilfe steht außer Frage, allerdings stoßen einige der geplanten Änderungen auf scharfe Kritik. Ein Meinungsartikel aus Studierendensicht. 

Was soll geändert werden?  

Das zweite Staatsexamen (M2) soll auf nächstes Frühjahr verschoben werden und die Studierenden sollen direkt ins PJ einsteigen, um dem Personalnotstand im Krankenhaus entgegenzuwirken. Grundlage der M2-Prüfung soll immer noch der Gegenstandskatalog von 2020 sein, da dieser sich im nächsten Jahr ändern soll. Einher geht die Verschiebung des Examens mit einer Verkürzung der Vorbereitungszeit von 100 auf 63 Tage. Das soll durch eine verkürzte fachliche Breite der Prüfung kompensiert werden. Allerdings fällt die M2 dann direkt vor das dritte Staatsexamen (M3), was einer Neuauflage des bereits vor mehreren Jahren abgeschafften “Hammerexamens” entspricht. 

Da im Kampf gegen Corona Flexibilität gefragt ist, soll die Aufteilung der PJ-Tertiale neu gehandhabt werden. Insbesondere der Medizinische Fakultätentag spricht sich hier für eine sehr flexible Anpassung der Tertiale aus1. Eine Überlegung ist, das Wahlfach oder das chirurgische Tertial zugunsten Pandemie-relevanter Fachbereiche (d.h. vor allem Bereiche der Inneren Medizin) entfallen zu lassen. 

Die Studierenden vor dem kommenden M3-Examen sollen eine vorläufige, befristete Approbation erhalten. Die unbefristete Approbation erfolgt dann nach der Pandemie durch Ablegen einer Prüfung mit geringerem Umfang als die bisherige M3-Prüfung. 

Außerdem sollen Regelungen zur Anrechnung von Famulaturen und Krankenpflegepraktika flexibilisiert werden. 

Was bedeutet das aus unserer Sicht? 

Wie kommen diese Vorschläge bei uns Studierenden an? Ein Versuch, die Situation aus unserer Perspektive, insbesondere die der M2-Kandidat*innen, zu schildern. 

Wir bereiten uns seit Monaten intensiv auf unser zweites Staatsexamen (M2) vor und schweben seit Wochen völlig in der Luft, wie und wann das stattfinden wird. 

Jetzt soll das Examen verschoben werden und wir verfrüht in unser Praktisches Jahr starten. Hier sollen wir nun unsere Arbeitskraft kostenlos und ohne große Wahlmöglichkeit zur Verfügung stellen und ohne sichergestellte Lehre in einer deutlich verkürzten Lernzeit ein schon im “Normalzustand” mental extrem forderndes Examen absolvieren. Wir sollen an vorderster Front helfen und unsere Gesundheit aufs Spiel setzen, was in gewisser Weise natürlich unserem Berufsethos entspricht. Aber wir fühlen uns alleingelassen. Der Gesetzgeber gewährt uns keinen Anspruch auf Vergütung, ja nicht mal auf EDV-Zugang oder Arbeitskleidung, geschweige denn auf notfallmäßige Kinderbetreuung, wenn die Kitas geschlossen haben. Die Begründung? Das PJ ist ja schließlich zum Lernen da. Anspruch auf festgelegte Lernzeiten haben wir jedoch auch nicht und wie das Lehrangebot in den Krankenhäusern während der Pandemie aussehen soll, steht in den Sternen. Das heißt, wir erhalten eine noch schlechtere Ausbildung während des PJs verbunden mit einer noch kürzeren Vorbereitungszeit fürs Examen, ach nein, für zwei Examen. Denn die M3 soll ja direkt im Anschluss an die M2 stattfinden. Anstelle des 100 Tage Lernplans für EIN Staatsexamen bleiben uns somit 63 Tage für zwei – vorausgesetzt natürlich wir werden nicht krank oder müssen in Quarantäne, um das Thema der seit Jahren kritisierten und insbesondere im Hinblick auf COVID-19 völlig desolaten Fehlzeitenregelung während des PJs zur Sprache bringen.  Krankheitstage zählen während des PJs nämlich genauso wie Urlaubstage. Werden 30 Fehltage überschritten (egal, ob durch Urlaub oder krankheitsbedingt), müssen die Tage in der Examensvorbereitungsphase nachgeholt werden – die damit noch kürzer wird. Das logische Ergebnis dieser Regelung ist, dass wir uns krank zur Arbeit schleppen. Ein Umstand, der gerade in der aktuellen Pandemie fatale Konsequenzen haben wird und nicht nur uns selbst, sondern auch Patient*innen gefährdet. 

Außerdem soll das Wahltertial entfallen, das viele von uns nutzen wollen, um unser späteres Berufsfeld kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen. In einem sowieso schon extrem verschulten Studiengang entfällt damit eine der wichtigsten Möglichkeiten, unser Studium eigenen Interessen anzupassen. 

Welche Signale senden diese politischen Entscheidungen und was könnten die Folgen sein? 

Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, die schnelles und entschlossenes Handeln und Kompromisse erfordert. Medizinstudierende dürften die Letzten sein, die den enormen Druck auf das Gesundheitssystem anzweifeln und keinen Handlungsbedarf sehen. Ganz im Gegenteil: Innerhalb weniger Tage haben sich tausende von Freiwilligen gemeldet, die in den Kliniken aushelfen und sich einbringen möchten. Quasi über Nacht wurde ein riesiges Netzwerk2  zwischen Kliniken und Helfenden geschaffen, alles aus Eigeninitiative der Studierenden. Unsere Bereitschaft zu helfen, ist gigantisch.  

Daher fühlen sich die geplanten Änderungen zu M2, PJ und M3 an wie ein Messer in den Rücken. Anstatt unserem Willen zu helfen entgegenzukommen, sollen Strukturen geschaffen werden, die eine enorme psychische Belastung mit sich bringen und Studierende im letzten Studienabschnitt noch mehr als kostenlose Arbeitskräfte abstempeln. Wir sollen helfen und arbeiten, auf Kosten unserer Ausbildung, aber ohne entsprechende Anerkennung.  

Die Signale, die damit politisch gesendet werden, sind fatal. Wäre es nicht sinnvoller, die Medizinstudierenden, die bereits signalisiert haben, dass sie gerne bereit sind, unsere Gesellschaft in dieser Notlage zu unterstützen, wertschätzend zu behandeln? Wieso wird vollstes Engagement und Flexibilität von PJ-Studierenden gefordert, gleichzeitig aber der psychische Druck durch Wiedereinführung des Hammerexamens noch immens gesteigert? Was spricht für eine Verschärfung der Examenssituation in Pandemiezeiten, in der Lehre und Lernen sowieso schon erschwert sind und die mentale Belastung des medizinischen Personals in aller Munde ist? Nicht umsonst spricht die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) hier im Angesicht der geplanten Maßnahmen von “unzumutbarer Härte für die Studierenden”3

Das PJ sollte junge Mediziner*innen für den Arztberuf motivieren und auf die spätere praktische Tätigkeit vorbereiten. Mit den geplanten Änderungen (Wegfall des Wahltertials, bestehende Fehlzeitenregelung, Hammerexamen ohne ausreichende Lernphase) werden diese Ziele wohl kaum zu erreichen sein. Ein wahrscheinlicheres Resultat dürfte ein Jahrgang von resignierten und desillusionierten Ärzt*innen kurz vor dem Burn-Out sein, ohne Vertrauen in das System, das sie in der Krise nur noch mehr Druck ausgesetzt hat, anstatt sie zu unterstützen. Dem bestehenden Ärztemangel in zahlreichen Fachrichtungen würde das vermutlich nicht zugutekommen, sondern die Dynamik der Abwanderung in Berufsfelder abseits der direkten Patientenversorgung verstärken.  

Wir sind eine junge, motivierte und bestens vernetzte Generation von Medizinstudierenden. Wir verstehen den Ernst der Lage und sind bereit Kompromisse einzugehen. Wir wollen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten wie vom Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) gefordert4 solidarisch einbringen, so gut wir können. Aber wir fordern dafür wenigstens ein Mindestmaß der Anerkennung, die zurzeit jeden Abend im Fernsehen breitspurig versprochen wird. Wir fordern faire Examensbedingungen, die uns in dieser psychisch belastenden Situation nicht noch mehr unter Druck setzen: Planungssicherheit, soweit irgendwie möglich. Faire Bedingungen während unserer Ausbildung und Anerkennung unseres Beitrages zur Sicherung unseres Gesundheitssystem. Regelungen wie die kulanteren Anerkennungsbedingungen für Famulaturen und Pflegepraktika sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir bitten darum, auch weitere Vorschläge der bvmd in den Entscheidungsprozess zur gesetzlichen Neuregelung unserer Approbation in der COVID-19-Situation miteinzubeziehen. 

Um den bestehenden Ausnahmezustand zu bewältigen, sollte die Politik mit allen Gesundheitsberufler*innen an einem Strang ziehen, anstatt ihre Bereitschaft zur Hilfe auszunutzen, sie mit fehlender Solidarität zu demotivieren und sie so gegen sich aufzubringen. Liebe Politiker, kommt uns entgegen, und ihr werdet erstaunt sein, wozu wir in der Lage sind. 

Wenn ihr uns in dieser Sache helfen möchtet, unterschreibt doch die Petition der bvmd. Ihr findet sie unter diesem Link:

https://www.openpetition.de/petition/online/faire-bedingungen-fuer-praktisches-jahr-und-staatsexamina-im-medizinstudium-in-der-covid-19-pandemie

Die Blogeinträge spiegeln die persönlichen Meinungen und Erfahrungen der Autor*innen wider.

Literatur: 

[1] Medizinischer Fakultätentag. Stellungnahme zum Entwurf einer Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. (25.03.2020). URL: https://medizinische-fakultaeten.de/wp-content/uploads/2020/03/MFT_Stellungnahme_Entwurf-AO-Corona_2020-03-25_web.pdf (zuletzt abgerufen am 28.03.2020) 

[2] Match4Healthcare.  URL: https://match4healthcare.de/ (zuletzt abgerufen am 29.03.2020). Außerdem viele lokale Netzwerke organisiert durch die medizinischen Fachschaften, zum Beispiel in Freiburg. Offenen Fachschaft Medizin Freiburg e.V. URL: https://ofamed.de/2020/03/21/corona/ (zuletzt abgerufen 30.03.2020). 

[3] Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) (2020): “unzumutbarer Härte für die Studierenden” Stellungnahme der bvmd zum Entwurf der Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. (25.03.2020). URL: https://www.bvmd.de/wer-wir-sind/presse/stellungnahmen/ (zuletzt abgerufen am 28.03.2020). 

[4] IMPP. Stellungnahme des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) und des Medizinischen Fakultätentags (MFT) zu der gemeinsamen Empfehlung, das anstehende M2 zu verschieben. (2020). URL:  https://www.impp.de/presse2020-03/articles/presse-2020-03-20.html (zuletzt abgerufen am 28.03.2020). 

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