Ein Beitrag von Eva Kuhn.
Die COVID-19 Pandemie hält an; Erste reden von einem „neuen Normal“. In allen Gesundheitsprofessionen bleibt jedoch eine Grundanspannung und die Erkenntnis: Diese Situation ist alles andere als normal. Es ist und bleibt eine langanhaltende Ausnahmesituation, ein Warten auf den Ernstfall, ein Zurechtkommen mit dem Ernstfall. Mit dieser Ausnahmesituation einher geht für viele Ärzt*innen und Pflegekräfte in Krankenhäusern, dass sie sehr flexibel auf anderen Stationen eingesetzt werden, gegebenenfalls sogar zeitweise auf die Intensivstation rotieren – oder ihre eigene Station behelfsmäßig in eine Intensivstation umfunktioniert wird. Das erhöht nicht nur den Weiterbildungsdruck, sondern reißt eingespielte Teams auseinander, würfelt Kolleg*innen neu zusammen.
Damit fällt ein wichtiger (unter-)stützender Faktor für die eigene mentale Gesundheit weg: das gewohnte Arbeitsumfeld. Das sind die altbekannten Kolleg*innen, die genau wissen, wann etwas im Busch ist, und die üblichen Insider, die in der Frühbesprechung fallen. Der stetige personelle Wechsel kann Gefühle von Unsicherheit hervorrufen und die medizinische Kommunikation erschweren – mit zwei Stationen treffen meist auch zwei (Sprach-)Welten aufeinander. In jedem Fall aber stellt der Wechsel eine zusätzliche Hürde für einen niederschwelligen Austausch mit Kolleg*innen dar. Wie reagiert die*der mir unbekannte Oberärztin*arzt, wenn ich sie bei der Diagnostik von Frau Müller in Zimmer 10 mehrmals hinzuziehe? Ist der*die Pflegeschüler*in immer so still oder ist das ein Zeichen für Überarbeitung oder private Sorgen?
Und dennoch ist gerade in solchen turbulenten Zeiten der informelle, niederschwellige Austausch wichtiger als er es im „alten Normal“ schon war. Dieser Austausch geschieht aber nicht einfach so, wenn man sich fremd ist – und zusätzlich das Tragen der persönlichen Schutzausrüstung, insbesondere des Mund-Nasen-Schutzes, die Mimik der*des anderen auf ein Stirnrunzeln oder Heben der Augenbraue reduziert.
Krankenhäuser sind berüchtigt für ihre steilen und starren Hierarchien, die beinahe automatisch damit einhergehen, dass dem*der Vorgesetzten – blind oder zähneknirschend – gefolgt wird. Ob dies ein Zeichen starker Führung ist, sei dahingestellt. Die Diskussion über Führungsstil und Organisationskultur ist längst überfällig, aber lässt sich nicht gewinnbringend mitten in einer Pandemie führen. Vielmehr ist aktuell wichtig, dass Vorgesetzte Farbe bekennen: Eine*r für alle! Vorgesetzte können durch aufmerksame Nachfragen, sensible Führung und aktives Zuhören Wertschätzung vermitteln. Sie können als vielleicht einzige Konstante in einem stets wechselnden Team entscheidend zu einer vertrauensvollen Atmosphäre beitragen. Sie können in der Visite, im sich zufällig ergebenden Vier-Augengespräch im Stationszimmer oder auch mal zwischen Tür und Angel kurze Gespräche ins Leben rufen, in denen es nicht um Anordnungen oder Verlegungen geht. Dadurch signalisieren sie Interesse an der Pflegekraft als Mensch, an der Ärztin, dem Arzt als Mensch. Kommunikation auf Team-Ebene können sie auch fördern, indem sie – wie in verschiedenen Krankenhäusern schon geschehen – den Beschäftigten einen ‚No-Covid-Raum‘ zur Verfügung stellen: ein Raum, in dem über alles gesprochen werden kann und darf außer über COVID-19.
Schließlich können Vorgesetzte auch das ‚Alle für eine*n!‘ vorleben: Vorgesetzte sind – ob sie es wollen oder nicht – immer auch Vorbilder. Sie werden in ihrem Tun nachgeahmt. Macht der*die Vorgesetzte keine Pause, machen auch andere im Team keine Pause – oder fühlen sich zumindest schlecht dabei. Beides ist der psychischen Gesundheit nicht zuträglich. Gibt sich der*die Vorgesetzte als unverletzlich und ‚unkaputtbar‘, gerieren sich auch ihre Mitarbeiter*innen als solche. Anders herum: Sprechen Vorgesetzte laut aus, dass sie durch die aktuelle Situation in hohem Maße belastet sind, schlecht schlafen und deshalb heute einfach schlechte Laune haben, bieten sie damit ihrem Team eine Plattform, ähnliche Gedanken, Empfindungen, Sorgen zu äußern. Auch wenn mein Gegenüber vielleicht nur die Spitze seines*ihres Sorgen-Eisbergs geteilt hat, macht ihn*sie diese Information nahbar, zu einem Menschen hinter der Rolle Pflegekraft oder Ärztin*Arzt. Es ist meist einfacher, sich für Dr. Maier, der um die Notbetreuung für ihre Kinder bangen muss, einzusetzen, als für Dr. Maier, die Fachärztin für Innere Medizin.
Es versteht sich von selbst, dass Vorgesetzte alleine kein „neues Normal“ auf Station herbeizaubern können. Stetige personelle Wechsel im Team sind und bleiben anstrengend. Der eine kann sich schneller und besser auf neue Menschen einlassen, die andere ist von Natur aus erst einmal skeptisch und hält sich beim kurzen Plausch an der Kaffeemaschine beobachtend im Hintergrund. Doch auch wenn nicht alles von den Vorgesetzten abhängt, so sind sie doch aufgerufen, alles in ihrer Macht Mögliche zu tun, um einen verständnis- und respektvollen Umgang im Team, eine offene, wertschätzende Kommunikation untereinander und einen Musketier-ähnlichen Team-Zusammenhalt zu ermöglichen.