Praxisbuch zu mentaler Gesundheit

Eine Rezension von Juliane Luttmann.

Als in der Corona-Pandemie die Arbeitsbedingungen von Mediziner*innen in den öffentlichen Fokus rückten, ist im Schattauer Verlag das Buch „Mentale Gesundheit für Ärzte und Psychotherapeuten. Ein Praxisbuch zur Verbesserung der Lebensqualität“ von Thomas Bergner erschienen. Der Autor beschreibt typische Auslöser für Stress im Arbeitsalltag von Mediziner*innen und Psychotherapeut*innen und präsentiert praxisnah individuelle Lösungsstrategien für Betroffene. Er greift an einigen Stellen die Pandemie als Stressor auf. Doch wird bei Vielen erst jetzt im Abklingen der Corona-Krise genug Muße und Stille für ein Praxisbuch zu mentaler Gesundheit im Gesundheitswesen da sein. Für diejenigen unter euch, die ihre Resilienz stärken und ihre Ressourcen erweitern wollen, stellen wir von Blaupause – auch wegen der thematischen Nähe zu unserer Arbeit – das Buch in dieser Rezension vor.

In drei Kapiteln zu mehr Lebensqualität von Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen

Zugegeben – durch die Lektüre eines Buches mehr Lebensqualität zu erreichen, wäre ein hehres Vorhaben. Bergner schreibt selbst, es sei wie mit dem Schwimmen. Nur Technik erklärt zu bekommen, reicht nicht. Erst im Wasser erlangen Nichtschwimmende die Fähigkeit sich darin fortzubewegen. Der Autor, der den Lesenden hier die Schwimmtechniken in stressreichen Gewässern erklärt, heißt Thomas Bergner. Er hat als Dermatologe praktiziert und ist mittlerweile als Coach und Autor tätig. Von ihm stammen einige Fachbücher, in denen er sich thematisch dem Arztberuf widmet, sowie Sachbücher und Ratgeber für mehr Lebenszufriedenheit. Eines seiner zentralen Themen ist die Burnoutprävention im Arztberuf. Das hier besprochene Praxisbuch reiht sich passend in seine bisherigen Werke ein.

Bergner beschäftigt sich darin mit den Ursachen für mentale Belastungen im Arbeitsalltag von Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen. Der Autor stellt mentale Gesundheitsprobleme vor und bietet Lösungsansätze an. Er benennt die strukturellen Bedingungen des Berufs, beschränkt sich aber im Praxisteil bewusst auf die individuelle Verhaltensprävention. Wo Wasser ist, hilft es zu wissen, wie man schwimmt.

Wo einem Stressoren begegnen, ist es hilfreich zu wissen, wie man mit ihnen umgeht. Und woher sie kommen: Im ersten Teil des Buches wirft Bergner daher einen Blick auf die Ursachen für mentale Gesundheitsprobleme. Neben typischen Belastungen im Berufsalltag auf struktureller/organisatorischer/materieller, inhaltlicher und Beziehungsebene spielen hier auch Traumata, die Erfahrung von Macht und Ohnmacht sowie die Erwartungen an die Helfenden eine Rolle. Der Autor nennt in diesem Kapitel aber auch persönliche Eigenschaften, die der mentalen Gesundheit förderlich sein können.

Ein Beispiel für einen berufstypischen Stressor: Die Zulassung zum Medizin- oder Psychologiestudium (bzw. Psychotherapiestudium) ist die erste institutionalisierte Etappe zur Entwicklung der Persönlichkeit des „akademischen Helfers“. Doch bereits lange vor der Entscheidung zur Berufswahl formt sich durch gesellschaftlich vermittelte Bilder und Erwartungen beim Individuum die Vorstellung, wie eine Ärztin oder ein Psychotherapeut zu sein hat. Wenn sich diese Vorstellung nicht mit der eigenen Individualität deckt, kann dies neben den Belastungsfaktoren, die dem Beruf zu eigen sind, zu einem zusätzlichen Stressor werden. Die Persönlichkeit des Arztes spiegelt dabei nicht nur gesellschaftliche Erwartungen wider, sondern auch das von Bergner identifizierte, in Studium und Facharztweiterbildung vermittelte Hidden Curriculum. Ein unausgesprochenes Regelwerk, dessen Kernaussagen Bergner mit konkreten Änderungsvorschlägen bereits für das Medizinstudium begegnet.

Für den zweiten Teil des Buches hat Bergner zunächst eine “Bad Five der mentalen Gesundheitsstörungen” herausgearbeitet. So bezeichnet er die im Arzt- und Psychotherapeutenmilieu verbreitetsten seelischen Erkrankungen, wobei er der Studienlage attestiert, nicht eindeutig zu sein. Er beschreibt kurz, warum es Helfenden schwer fallen kann, sich selbst professionelle Unterstützung zu suchen und wie Kolleg*innen ihren betroffenen Kolleg*innen helfen können. Auch wie es für Ärzt*innen sein kann, wenn sie ihren Beruf aufgrund von Erkrankungen nicht mehr ausführen können, schildert Bergner kurz. Dann stellt Bergner die Bad Five Burnout, Depression, Angsterkrankungen, Sucht und Suizidalität im Zusammenhang mit den genannten Berufsfeldern vor. Vor allem der Teil zum Burnout ist sehr ausführlich, was sich aus Bergners Expertise zu diesem Thema erklären lässt.

Hin und wieder blitzen in diesem Buch durchaus Ansätze auf, was sich auf struktureller Ebene ändern könnte, um Stressfaktoren zu minimieren. Doch Bergner hat für sein Praxisbuch generell einen anderen Weg gewählt. Er begleitet in den Folgekapiteln Gesundheitsberufler*innen, die von mentalen Gesundheitsproblemen betroffen sind, mit Methoden der Selbstfürsorge.

Was können Mediziner*innen und Psychotherapeut*innen nun konkret tun, um sich selbst zu helfen? 

Im Praxisteil ermuntert der Autor die Lesenden zu einem mitfühlenden Blick auf sich selbst und einem milden Umgang mit den eigenen physischen und psychischen Bedürfnissen und Grenzen. Dem Buch eigen sind die in den Text eingebauten kleinen Kästen und Übungen, mit denen Bergner praxisnah an Mechanismen der Stressbewältigung heranführt und alternative Lösungsstrategien aufzeigt. Die Konzepte, die Bergner hierfür als geeignet ansieht, klingen vertraut: Kurze Unterkapitel widmen sich den Themen Selbstmitgefühl, Selbstwirksamkeit und Selbstwert, Resilienz, Achtsamkeit, Lebensstilfragen, Selbstfürsorge, und der Beantwortung persönlicher Kernfragen.

Ein Praxisbuch für mentale Gesundheit im Gesundheitswesen mit starkem Ressourcenteil

Der Ressourcenteil ist besonders wertvoll und kann eventuell über die Schwächen des Buchs hinwegtrösten. Dennoch sollen auch diese kurz benannt werden.

Der Einstieg in dieses Praxisbuch ist etwas holprig. Es wartet mit generischem Maskulinum und zahlreichen selbstreferentiellen Textstellen auf. Doch dem Autor lässt sich verzeihen, da er auf sehr menschliche und einfühlsame Art mit dem Thema Stressbewältigung im Arbeitsalltag von Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen umgeht. Er baut die Inhalte schlüssig aufeinander auf und führt behutsam vom Problem zum Lösungsansatz.

Für den Teil zu Macht und Ohnmacht im ersten Kapitel soll an dieser Stelle jedoch eine Triggerwarnung ausgesprochen werden. Hier werden eigene Gewalterfahrungen als Fallbeispiele ungefiltert dargestellt. Der Autor möchte damit aufzeigen, dass Grenzüberschreitungen im Arbeitsalltag vorkommen können, ohne dass die Betroffenen die eigene Belastung in der Situation selbst wahrnehmen. Es ist zu bedauern, dass der Autor dies erlebt hat. Auf die Lesenden kann die Schilderung der Fallbeispiele jedoch ebenfalls belastend wirken. Vulnerable Menschen überspringen jenen Kasten am besten.

Für wen könnte dieses Buch hilfreich sein?

Meiner Meinung nach beweist das Buch seine Stärke als hilfreiches Kompendium zur Prävention. Bergner hat viele Ideen, was sich auf struktureller Ebene ändern ließe und bietet zahlreiche Vorschläge, wie Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen gut mit sich selbst umgehen können. Für medizinisch und therapeutisch tätige Menschen, die konkrete Strategien für den Umgang mit den eigenen Stressoren oder die Prävention von mentalen Gesundheitsproblemen suchen, kann dieses Buch eine gute Starthilfe sein. Bergner regt dazu an, sich selbst zu reflektieren und stellt konkrete Selbsthilfepraktiken, zugeschnitten auf den Beruf der Ärzt*in/Psychotherapeut*in, vor. Er motiviert, ins Handeln zu kommen und die Balance wiederzufinden – vor allem für die eigene seelische Gesundheit.

Bei akuten mentalen Gesundheitsproblemen oder in einer Krise ist dieses Buch jedoch nicht kompakt genug und ersetzt keine professionelle Unterstützung. Wie bereits erwähnt: Mit der Theorie alleine lässt sich nicht gut schwimmen. Erst recht nicht bei starkem Wellengang oder reißender Strömung.

Das Buch eignet sich für die Sensibilisierung für das Thema “mentale Gesundheit” unter Gesundheitsberufler*innen und als Werkzeugkasten für das eigene mentale Wohl. Die zahlreichen Anregungen, die Bergner für das Medizinstudium und die Facharztweiterbildung gibt, sind sehr durchdacht. Einige davon finden sich auch in der Arbeit von Blaupause wieder.

Wir empfehlen die Lektüre allen, die sich theoretisch und praktisch näher mit dem Thema auseinandersetzen wollen und weisen dennoch darauf hin, dass an einigen Stellen Nachsicht mit dem Autor hilfreich ist. Für die Zukunft wäre zusätzlich eine feministische, gendersensible Betrachtung des Themas “mentale Gesundheit im Gesundheitswesen” schön. Und natürlich wünschen wir uns, dass sich möglichst viele der Ideen in diesem Praxisbuch tatsächlich in der Praxis niederschlagen.

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Thomas Bergner: Mentale Gesundheit für Ärzte und Psychotherapeuten. Ein Praxisbuch zur Verbesserung der Lebensqualität. Schattauer Verlag. 1. Aufl. 2021, 288 Seiten, Broschiert. ISBN: 978-3-608-40059-5          

Transparenzhinweis: Blaupause hat vom Schattauer Verlag freundlicherweise ein Rezensionsexemplar erhalten.                                     

Ein Gedanke zu „Praxisbuch zu mentaler Gesundheit

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