„Wer empathisch agiert, wird den richtigen Umgang mit psychisch Erkrankten finden“

Dieses Interview ist im Rahmen einer Kooperation mit Hashtag Gesundheit entstanden und erscheint auch dort.

Die Fragen stellten Eva Kuhn und Jacob Loring. 

Christian Krohne ist Unternehmer und Berater für Public Relations und politische Kommunikation. Im Gesundheitssektor berät er vor allem zu politischer Interessenvertretung und strategischer Kommunikation. 

DIE FÜNF – Einstiegsfragen: 

  1. Mentale Gesundheit ist für mich … 

… der „Idealzustand“ der Psyche, in der sich der Mensch wohlfühlt, negative Situationen nicht allzu belastend empfindet und der Zustand, in dem man sein geistiges Potenzial problemlos abrufen kann. 

  1. Was tust du persönlich für deine eigene Psychohygiene/um Abstand von deinem Berufsalltag zu bekommen? 

Ich versuche, einen klaren Übergang am Beginn und am Ende des Arbeitstages zu schaffen, mir bewusst zu machen, wann der „berufliche“ und wann der „private“ Bereich beginnt. Vor allem jetzt, wo ich sehr viel Zeit im Homeoffice verbringe, ist das extrem hilfreich. Man muss unbedingt für sich selbst lernen, wann man arbeitet und wann die Zeit ist, die Dinge beiseite zu legen und die Psyche zu entlasten.  
 

Dazu gehört nicht nur das bewusste Beginnen/Beenden des Arbeitstages, sondern auch Dinge zu tun, die der eigenen Psyche dienlich sind. Für mich ist das zum Beispiel ein schöne Joggingrunde durch den Schlosspark Charlottenburg oder um den Lietzensee herum. Sport befreit meine Seele sehr effektiv von Dingen, die mich belasten und gibt mir die nötige Energie, um mich den täglichen Herausforderungen zu stellen. 

  1. Worin siehst du erste „Warnsignale“ beginnender psychischer Probleme bei Kolleg*innen und was tust du persönlich, wenn du diese bemerkst? 

Ich denke, dass ein Wandel der Verhaltensweise, aber auch Tendenzen sich abzukapseln und Gereiztheit über einen längeren Zeitraum hinweg bedenklich sein können. Wenn ich feststelle, dass sich jemand sehr anders verhält, als ich die Person eigentlich kenne, versuche ich vorsichtig, dahinter zu blicken. Vielleicht gibt es etwas, das die Person gerade konkret belastet und sie weiß nicht, wie es zu lösen ist. Man sollte dann auch nicht „von oben herab“ oder besserwisserisch agieren, sondern anbieten, ob man was für die Person tun kann und vor allem zuhören.  

  1. Was macht es deiner Erfahrung nach gerade für Behandelnde/Helfende so schwer, selbst Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen? 

Ich habe selbst keine persönliche Erfahrung als Behandelnder, aber spreche mit vielen Menschen, die in dieser Funktion tätig sind. Von ihnen wird in erster Linie erwartet, dass sie stets eine Lösung haben und aus einer Position der Stärke heraus agieren, um für andere da zu sein. Umgekehrt kann das für viele Behandelnde und Helfende eben bedeuten, dass sie ihre eigene Notlage als Schwäche betrachten und sich schämen, Hilfe zu suchen. 

  1. Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, um das Thema „psychische Störungen“ besonders bei im Gesundheitswesen arbeitenden Menschen zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren? 

Das System muss dahingehend ausgelegt werden, dass zum Beispiel von Pflegekräften nicht erwartet wird, dass sie Wochen am Stück arbeiten und Überschichten leisten, ohne dass sie die Möglichkeit haben zu regenerieren. Es geht aktuell darum, so lange und gut zu funktionieren wie möglich. Das impliziert umgekehrt natürlich, dass man keine Schwäche zeigen darf – weder physisch noch psychisch.  

Die Frage aus dem Forum: 

  1. Wie stehst du zu Apps, mit denen Diagnosen oder Interventionen im Bereich der „psychischen Gesundheit“ möglich sein sollen? 

Ich halte sehr viel von Online-Programmen, die therapeutisch begleitet werden und glaube, dass sie eine sinnvolle Ergänzung für die psychologische Versorgung in Deutschland darstellen können. Nicht nur als Überbrückungsmöglichkeit, bis jemand einen ambulanten oder stationären Therapieplatz antreten kann, sondern auch um Menschen, die sich schämen, eine Möglichkeit zu geben, diskret von zuhause aus ihre Kurse zu machen und ihre Gespräche zu führen und dadurch vielleicht festzustellen, dass sich entweder eine psychische Belastung bereits durch die Nutzung des Programms erledigt hat – oder dass sie weniger Sorge haben, sich in eine ambulante/stationäre Therapie zu begeben. Oftmals sind die komplett unbekannte Situation und die Unsicherheit, was einen alles bei einer psychologischen Betreuung erwartet, ein großes Hemmnis. 

Mit Selfapy wird es voraussichtlich noch in diesem Jahr das erste Unternehmen geben, das eine Zertifizierung als Digitale Gesundheitsanwendung erhält, welche mit sehr strengen Kriterien hinsichtlich der Wirksamkeit verbunden ist. Ich denke, das ist auch angesichts der noch immer viel zu langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz eine positive Entwicklung und sinnvolle Ergänzung der psychologischen Versorgung in Deutschland. 

Die Fragen zur Expertise:  

  1. Als Politik- und Kommunikationsberater, der mit verschiedenen Stakeholdern des Gesundheitswesens eng zusammenarbeitet hast du einen Blick auf das Gesundheitswesen ‚von außen‘. Welche Herausforderung ist aus deiner Erfahrung heraus aktuell die größte im deutschen Gesundheitswesen? 

Aktuell ist die große Herausforderung, die hohe Qualität unseres Gesundheitswesens dort zu verbessern, wo Defizite sind und die Bedingungen für diejenigen zu verbessern, die das System maßgeblich tragen, etwa Pflegefachkräfte. Diese müssen dringend Besserungen zu spüren bekommen, sonst werden wir dauerhaft einen Mangel an Personal in diesem Bereich haben – bereits ist diese Fluktuation ja schon zu spüren. 

Der zweite große Punkt ist, wie kann man Digital Health sinnvoll einbinden? Im Zuge des Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) sind hier schon einige Weichen gestellt worden. Die eigentliche Arbeit geht nun aber richtig los.  

  1. Welche Stakeholder haben für dich eine besondere Bedeutung, wenn es um mentale Gesundheit im Gesundheitswesen geht? Wie sieht deren Rolle aus – oder wie sollte die Rolle dieser Stakeholder aussehen? 

Es wäre sehr einfach zu sagen, Patienten müssen noch stärker gehört werden. Sehr viele Menschen mit psychischen Erkrankungen fühlen sich nicht unbedingt in der Lage, sich auch noch aktiv für die Verbesserung des Gesundheitswesens einzusetzen. Hier müssen die Behandelnden noch stärker gehört und miteinbezogen werden: als diejenigen, die unmittelbar mit psychisch erkrankten Menschen arbeiten und genau wissen, was in der Versorgung fehlt und was gut funktioniert.  

Von der Politik wünsche ich mir, dass sie das Thema psychische Gesundheit allgemein, aber auch in Bezug auf Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, auf die Agenda nehmen. Es werden immer wieder Versprechungen hinsichtlich der Verbesserung der Arbeitsbedingungen zum Beispiel von Pflegekräften gemacht. Leider wirken die tatsächlichen Maßnahmen auf die Betroffenen letztlich nur sehr halbherzig. Hier sollte man die Belange der im Gesundheitswesen tätigen Menschen viel besser berücksichtigen und vernünftig umsetzen. 

  1. Wo und wie versuchst du, selbst Änderungen im Reden über mentale Gesundheit zu erwirken? 

Ich habe in den letzten Jahren in Podcasts, Artikeln, aber auch im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit – unter anderem bei zwei der marktführenden Anbieter im Bereich Digital Mental Health – auf verschiedene Art meinen Beitrag dazu geleistet, dass das Thema Mental Health in meinem Umkreis präsenter wird. Ich möchte keinen Respekt dafür, dass ich meine Geschichte erzähle, sondern Empathie wecken, damit anderen Menschen früher geholfen werden kann. 

  1. Du hast selbst Erfahrung mit Phasen psychischer Erkrankung gemacht. Was oder wer hat dich dazu bewogen, offen über deine Erschöpfungsdepression zu sprechen? 

Das Stigma, aber auch die Not, nicht verstanden zu werden. Ich war ein erfolgreicher Kommunikationsberater, der in global renommierten Unternehmen seinen Weg gemacht hat – bis ich in irgendwann in ein psychisches Loch gefallen bin. Weil es in vielen Unternehmen keine Warnsysteme gibt und auch der private Bereich die Warnsignale nicht gesehen hat oder sich nicht getraut hat, mich darauf anzusprechen. Das Stigma einiger Menschen, die sich in Zeiten des Erfolgs als Freunde auf deine Seite stellen und wenn es dir sehr schlecht geht, ganz schnell das Weite suchen wie Ratten, die ein sinkendes Schiff verlassen.  

Das hat mir gezeigt, dass man viel mehr Bewusstsein schaffen muss. Dass Menschen mehr aufeinander schauen, dass Unternehmen Warnsysteme einführen, um zu beobachten, ob ein Mitarbeiter gefährdet ist, psychisch zu erkranken.  

  1. Wenn man erzählt, dass man wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung ist oder war, wird man mit unterschiedlichsten Reaktionen konfrontiert. Welche Reaktion wünschst du dir von deinem Gegenüber? 

Empathie. Es geht gar nicht darum, dass andere zu hundert Prozent nachvollziehen können, wie man sich während einer Erkrankung fühlt. Wenn sich jemand das Bein bricht, kann ich den Schmerz auch nicht nachvollziehen, wenn ich vorher nicht selbst mal ein gebrochenes Bein hatte. Ich denke, hier machen viele Menschen einen Denkfehler, indem sie glauben, alles mitfühlen zu müssen. Wichtiger ist es, zuzuhören, und zu beobachten, statt versuchen mitzufühlen oder zu verurteilen. Wer empathisch agiert, wird den „richtigen Umgang“ mit psychisch Erkrankten finden. 

DIE ZWÖLFTE – Abschlussfrage 

  1. Welchen Rat möchtest du Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten oder sich in einer entsprechenden Ausbildung befinden, hinsichtlich ihrer eigenen mentalen Gesundheit mit auf den Weg geben? 

Seid euch bewusst, dass euer Job extrem fordernd sein wird und befasst euch mit Strategien, wie ihr eure Psyche gesund und eure Resilienz stärken könnt. 

Was ist 5vor12? 

5 vor 12 – der psychische Druck auf im Gesundheitswesen Beschäftigte steigt zunehmen. Immer mehr Mitarbeiter*innen in Krankenhäusern, Beratungsstellen und psychosozialen Institutionen leiden selbst an psychischen Erkrankungen. Es ist, ganz wörtlich 5 vor 12 und höchste Zeit, dass Menschen, die im Gesundheitsweisen arbeiten, zu Wort kommen und ihre beruflichen, wissenschaftlichen und persönlichen Erfahrungen mit einer breiten Öffentlichkeit teilen.  

In unseren “5 vor 12”-Interviews sprechen wir mit Expert*innen über mentale Gesundheit im Gesundheitswesen. Expert*innen sind für uns all diejenigen Personen, die im Gesundheitswesen arbeiten, als Gesundheitsberufler*in selbst von einer psychischen Erkrankung betroffen sind oder zu diesem Thema forschen. 

Du siehst dich selbst ebenfalls in einer der drei Kategorien (1) tätig im Gesundheitswesen, 2) psychisch Erkrankte*r Gesundheitsberufler*in, 3) Wissenschaftler*in mit Schwerpunkt mentale Gesundheit im Gesundheitswesen) und möchtest deine Erfahrungen gerne in einem “5 vor 12”-Interview mit uns teilen? 
 
Dann melde dich bei uns unter vorstand@blaupause-gesundheit.de 
Selbstverständlich sind auch anonyme Interviews möglich. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert