Organspende: Wer denkt an uns?

Ein Beitrag von Chiara aus dem Blaupause-Team

Jens Spahns Gesetzesentwurf zur Widerspruchsregelung bei der Organspende wurde abgelehnt. Auf Social Media wird heiß diskutiert, am lautesten von Menschen, die weder auf ein Spenderorgan warten, noch Ahnung vom Ablauf einer Organspende haben. Schlagwörter wie „menschliches Ersatzteillager“ und „Ausweiden“ fallen regelmäßig in diesen Diskursen.

Fragt sich eigentlich überhaupt jemand, wie medizinisches Personal mit diesem Thema bei seiner Arbeit konfrontiert wird und welche Auswirkungen es auf sie hat? Nach meinem persönlichen Eindruck wird über die Rahmenbedingungen eines Organspendeprozesses und die damit verbundenen psychischen Belastungen kaum gesprochen.

Als Gesundheits- und Krankenpflegerin mit mehrjähriger Erfahrung auf einer Intensivstation der Maximalversorgung habe ich selbst einige Organspender*innen gepflegt und möchte mit diesem Blogbeitrag meine ganz persönliche Perspektive zu diesem Thema teilen und den Blick mal auf die Personen richten, die in diesem Kontext kaum Beachtung finden oder als kaltblütige, profitorientierte Schlachter dargestellt werden.

Oft sind es junge Patient*innen, die nach einem schweren Unfall mit allen erdenklichen Verfahren der Intensivmedizin bestmöglich behandelt werden. Die Erfahrung zeigt, dass bei Schädel-Hirnverletzungen oft unerwartete Verläufe eintreten können, sowohl positiv (im Sinne einer Genesung) als auch negativ. Erst wenn sich abzeichnet, dass der Hirntod eingetreten ist, wird eine Hirntoddiagnostik veranlasst. Zu diesem Zeitpunkt wird noch nicht über Organspende gesprochen. Zwei Ärzt*innen müssen unabhängig voneinander den Hirntod feststellen. Dies beinhaltet neben Hirnstromuntersuchungen (EEG) auch umfangreiche neurologische Untersuchungen, sowie das kurze Abschalten des Beatmungsgerätes, um zu testen, ob der Patient noch eine eigene Atemtätigkeit hat, was ein Anzeichen für Hirntätigkeit wäre. Erst wenn der Hirntod zweifelsfrei festgestellt ist, erfolgt ein einfühlsames Gespräch mit den Angehörigen über den Willen des Verstorbenen und die Frage nach dem Vorliegen eines Organspendeausweises oder einer Willenserklärung des Verstorbenen. 

Der*die Verstorbene erhält bis zur Klärung dieser Frage eine Intensivtherapie zur Aufrechterhaltung von Atmung, Kreislauf und Organfunktionen. Hier geht es aber nicht nur um Medikamente zur Kreislaufregulation und eine künstliche Beatmung, sondern auch um die Pflege des Verstorbenen und die Betreuung der Angehörigen. Ja, im Bett liegt ein toter Mensch. Ein Mensch, der meist jung ist, dessen Brustkorb sich dank des Beatmungsgerätes gleichmäßig hebt und senkt, und der warm ist und gar nicht tot aussieht. Für die Angehörigen bedeutet dies, den Schock über einen Unfall zu verkraften, nach Hoffen und Bangen die Todesmitteilung zu erhalten und doch gar nicht sehen und fühlen zu können, dass dieser Tod schon Wirklichkeit ist.

In unserem Team haben wir immer sichergestellt, dass Pflegekräfte, die sich um Organspender kümmern, von den Kolleg*innen entlastet werden, damit sie sich ganz auf diese Aufgabe konzentrieren können. Apothekenbestellung, Verlegungen, Beatmungsgeräte aufrüsten, all die „Nebenbei-Aufgaben“ entfallen. Oft erzählen die Angehörigen Anekdoten aus dem Leben des Verstorbenen, berichten von dessen Plänen und binden die Pflegekraft so in das Abschiednehmen mit ein. Nach der Organentnahme erhalten die Angehörigen dann noch einmal die Möglichkeit, sich zu verabschieden und den Tod sprichwörtlich zu begreifen: blasse, kalte Haut, keine Atembewegung, Stille. Ich erinnere mich heute noch an Schreie der Trauer und Verzweiflung, die ich vor über zehn Jahren gehört habe. An Tränen auf meiner Schulter und an Gespräche über das großzügige Wesen eines jungen Spenders, der stets einen Organspendeausweis bei sich trug und diesen Entschluss auch seiner Familie mitgeteilt hatte.

Wie hält man das aus? 

Viele denken, man muss „abgehärtet“ sein, wobei mir das Gedicht des Lyrikers Erich Fried einfällt:

ANTWORT 

Zu den Steinen            
hat einer gesagt:        
seid menschlich 
Die Steine haben gesagt:       
wir sind noch nicht    
hart genug

Ich bin fest davon überzeugt, das Gegenteil ist der Fall. Wir dürfen unser Mitgefühl niemals verlieren. Wir müssen lernen darauf zu achten, belastende Erlebnisse konstruktiv zu verarbeiten und unsere eigene Seele zu pflegen. Ein unterstützendes Team und eine offene Gesprächskultur sind dabei von unschätzbarer Wichtigkeit. Auch für Ärzt*innen ist der Ablauf einer Organspende eine große Herausforderung. Sie müssen den Angehörigen die Todesnachricht überbringen und sind oft noch unerfahren in Gesprächsführung und möchten nichts falsch machen. Hier ist es wichtig, offen über eigene Ängste und Bedenken sprechen zu können und von erfahrenen Kolleg*innen begleitet zu werden. Je besser das Team einander unterstützt, desto ruhiger, besonnener und einfühlsamer können solche Prozesse ablaufen. Über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Bedeutung von sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz für die Gesundheit von Beschäftigten schreibe ich an dieser Stelle nichts und bleibe ganz persönlich.

Einige Wochen nach der Organentnahme haben wir immer einen Brief von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) erhalten, die die Entnahme und Verteilung der Organe an die Empfänger*innen koordiniert. Dort steht, welche Organe erfolgreich transplantiert werden konnten. 

Nie werde ich den (anonymisierten) Brief eines 13jährigen Mädchens vergessen, das das Herz eines bei uns verstorbenen jungen Mannes erhalten und sich an die DSO gewandt hatte. Sie schrieb, dass sie durch ihre schwere Erkrankung nur noch im Bett liegen konnte und es ihr durch das neue Herz schon sehr viel besser ginge und sie so unglaublich dankbar sei. Zugleich mache sie sich Gedanken über die Eltern des Spenders und deren Schmerz und dankte dafür, dass sie ein neues Herz und eine zweite Chance für ihr Leben haben durfte. (Hinweis: Die Organspende läuft in Deutschland anonym ab. Es wird sichergestellt, dass keine Daten zu Spender*innen oder Empfänger*innen weitergegeben werden oder die Angehörigen von Organspender*innen die Organempfänger*innen ermitteln können.)

Es sind Momente, in denen das Team zusammenhält, einander gegenseitig unterstützt und sich nach einigen Wochen gemeinsam darüber freut, dass man trotz des Todes des eigenen Patienten an der Rettung von Menschenleben beteiligt war, die Sinn und Freude am Beruf stiften, die für hohen Arbeitsaufwand und emotionalen Stress entschädigen und neue Kraft geben. 

Ich wünschte, dass all die lauten Kritiker*innen uns über die Schultern hätten schauen können. Sie hätten beste medizinische Versorgung und Pflege gesehen, Mitgefühl und einen würdevollen Umgang mit dem Tod. 

Es ist jedem Menschen freigestellt, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden. Aus Erfahrung rate ich: entscheidet euch und sprecht darüber. Es entlastet die Angehörigen sehr, zweifelsfrei zu wissen, dass sie im Sinne des Verstorbenen handeln konnten. Denkt daran, dass in Kliniken nicht „Schlachter“ arbeiten, sondern Menschen, die unabhängig von ihren eigenen Ansichten zum Thema Organspende ihre Arbeit so erbringen, dass sie im Sinne des Verstorbenen ist – egal ob Spender oder nicht. Hinterfragt ruhig kritisch und informiert euch, aber seid respektvoll gegenüber Pflegekräften und Ärzt*innen. Sie haben es verdient.

Die Blogeinträge spiegeln die persönlichen Meinungen und Erfahrungen der Autor*innen wider.

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