Nur mit sehr viel Selbstfürsorge und Achtsamkeit bin ich gut durch die Quarantäne gekommen.

Ein Interview von Annika Benz.

Vorstellung 

Andrea Auer (51 Jahre) arbeitet auf einer Psychotherapiestation für Patienten mit Affektiven und Persönlichkeitsstörungen. Nach vielen Jahren in der Somatik, wechselte sie vor zwei Jahren in die psychosomatische Versorgung. Die letzte Woche musste sie zuhause in Quarantäne verbringen, da sie bei einer Fortbildung für Pflegekräfte Kontakt mit einer später positiv getesteten Person hatte.  

DIE FÜNF – Einstiegsfragen: 

  1. Mentale Gesundheit ist für mich … 

… der Schlüssel dafür, dass ich alles, was mir begegnet – sei es im Privatleben oder im Beruf – bewältigen kann oder auch erkennen kann, dass ich es eben nicht bewältigen kann. Das heißt für mich aber auch, dass ich mich schonungslos reflektieren und sogenannte Schwächen eingestehen darf. Wenn man mental gesund bleiben möchte, erfordert das auch eine Bereitschaft zur Veränderung.  

  1. Was tun Sie persönlich für Ihre eigene Psychohygiene/um Abstand von Ihrem Berufsalltag zu bekommen? 

Beruflich habe ich meine Arbeitszeit um 20% reduziert, um am Ende mehr Zeit für meinen Partner, meine Freunde und vor allem für mich zu haben und so Erschöpfung zu reduzieren. Außerdem suche ich mir hier relativ schnell Hilfe, wenn ich zum Beispiel eine schwierige Situation mit einem Patienten habe, da ich gemerkt habe, wie entlastend es sein kann, ohne Scham die Last auf zwei Menschen zu verteilen. 

Privat habe ich ganz viele unterschiedliche Dinge ausprobiert. Zum einen male ich zum Beispiel Pastellkreide, direkt mit den Fingern auf der Leinwand, was ein toller Weg ist, um mich zu erleben und zu spüren, ohne dass es mir am Ende wichtig ist, welches Ergebnis entsteht.  Zum anderen bin ich gerne in der Natur und mache viel Sport. Da teste ich einerseits gerne meine Grenzen aus und suche mir zum Beispiel beim Laufen maximal schwierige Strecken, die ich dann mit reiner Willensstärke bewältige, auch wenn ich das Gefühl habe, dass meine Beine mich längst nicht mehr tragen würden. Andererseits genieße ich den Ausgleich beim Schwimmen und Fahrrad fahren ganz ohne Anspruch und mit ganz bewussten Achtsamkeitsübungen die Natur wahrzunehmen und zu genießen. Ich suche mir aber auch immer Herausforderungen und hab zum Beispiel vor zwei Jahren erst das Tauchen angefangen, obwohl ich eigentlich in der Enge schon eher Ängste bekomme. Das war für mich eine wahnsinnige Erfahrung, über meine Grenze zu gehen und gleichzeitig in eine so ganz andere Welt abzutauchen. Und wenn sich beim Tauchen ein belastender Gedanke in meinen Kopf einschleicht, wird man es sofort merken, weil die Tarierung dann nicht mehr stimmt und ich den Abstand im Wasser nicht mehr halten kann. So kann ich durch diesen Sport üben, mit Körper-Geist-Seele in einer Einheit zu sein. Dann ist es als würde ich schweben und das ist wahnsinnig erfüllend.   

  1. Worin sehen Sie erste „Warnsignale“ beginnender psychischer Probleme bei Kolleg*innen und was tun Sie persönlich, wenn Sie diese bemerken? 

Das ist erstmal nicht einfach, weil man ja auch nicht übergriffig werden will. Ich habe jetzt das Glück, auf einer Station zu arbeite, wo diese Reflexionen wirklich machbar sind. Zum Beispiel habe ich schon erlebt, dass eine Kollegin, plötzlich Spitzen gegen die anderen verteilten. Die habe ich ganz direkt angesprochen und gefragt, was bei ihr los ist, da ich sie sonst ganz anders kenne. Und sie konnte dann auch tatsächlich um 10% reduzieren und auf lange Sicht besser für sich sorgen. Drum finde ich es wichtig, die Kollegen anzusprechen, wenn sie plötzlich motzig werden oder nur noch im Stationszimmer sitzen und Stimmung machen “im negativen Sinn”. Ich finde, an so plötzliche Verhaltensänderungen merkt man es am besten: Wenn plötzlich ein Kollege aus seinem Verhalten rausrutscht; immer pünktlich und auf einmal verschläft er. Dann ist es wichtig, dass man mutig genug ist, anzusprechen, was einem aufgefallen ist und direkt zu fragen, ob jemand Hilfe braucht. Bisher habe ich damit nur gute Erfahrungen gemacht, habe da aber wie gesagt auch wirklich Glück mit meiner Station, dass es da zum Konzept gehört, das anzusprechen. Da darf man das auch direkt anspreche und es wird auch angenommen. Das ist sehr schön. 

  1. Was macht es Ihrer Erfahrung nach gerade für Behandelnde/Helfende so schwer, selbst Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen?  

Menschen, die in sozialen Bereichen arbeiten, haben häufig einen ganz hohen Anspruch an sich – ethisch, moralisch, wollen mit Menschen arbeiten. Da will man es oft nicht wahrhaben, plötzlich selbst an eine Grenze zu kommen. Und gleichzeitig ist es natürlich auch allgemeingesellschaftlich immer noch eine Stigmatisierung – außer man hat das Glück, dass man ein prominenter Mensch ist. Da wird es komischerweise viel besser toleriert und thematisiert. Aber ansonsten scheint es nicht in unsere “perfekte Welt” zu passen. Das ist gerade bei Pflegenden, wo man so einen hohen Anspruch aber auch eine so eine hoch anspruchsvolle Arbeit hat, einfach auch eine ganz große Hemmschwelle und auch eine große Angst da. Ich habe zum Beispiel mal bei einer Kollegin beobachtet, wie reagiert wurde, als sie in eine psychosomatische Klinik musste. Da hieß es dann: “Die ist nicht mehr belastbar“, “Ist sie überhaupt geeignet für diesen Beruf?” Dann wird natürlich jeder, der das so miterlebt, sich überlegen: Kann ich überhaupt so etwas auch äußern? Kann ich überhaupt eine Krankmeldung abgeben? Da sind schon allein wegen des Arztstempels Ängste da, wenn ein Psychotherapeut den Stempel auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung macht und man fürchten muss, in eine entsprechende Schublade gesteckt zu werden. Da ist noch ganz viel Aufklärungsarbeit nötig, denke ich.  

  1. Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, um das Thema „psychische Störungen“ besonders bei im Gesundheitswesen arbeitenden Menschen zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren? 

Es gibt ja verschiedene Hintergründe: Entweder jemand bringt die Störung schon mit – vielleicht eine Angststörung oder eine Depression – oder man erwirbt sie erst durch das, was man erlebt, man wird vielleicht durch ein Ereignis, zum Beispiel ein Suizidversuch auf Station oder ähnliches, traumatisiert. Und da brauchen wir einfach mutige Menschen, sozusagen Modelle, Vorbilder von Menschen, die in der Pflege arbeiten, in allen Schichten, also sprich auch eine Führungskraft, die sich irgendwann mal hinstellen und eigene Betroffenheit teilen. Ich finde es wichtig zu sehen, zu was Menschen mit bestimmten Einschränkungen im psychischen Bereich fähig sind und dass sie sogar so viel mehr erreichen können, gerade weil sie ihre eigenen Erfahrungen mitbringen. Das ist ja was anderes als rein theoretische Wissen. Natürlich ist es aber auch schwierig, aber dass der Arbeitgeber oder dass jede Institution so eine Offenheit entwickelt. Da ist die Frage: Wie kann man das Thema aus der Tabu-Zone holen? Ichkönnte mir zum Beispiel vorstellen, dass man anonymisiert eine Umfrage macht: Was bringen Sie für Probleme mit? Und da kommt wahrscheinlich raus: Der hat eine Depression; es gibt Leute mit Post-Trauma, die hier auf dem Gelände zum Beispiel arbeiten. Und wenn dann so deutlich wird, dass natürlich auch Menschen mit eigenen psychischen Problemen hier auf dem Gelände arbeiten, könnte man sagt: Wen gibt es als Ansprechpartner? Kann das ein Betriebsarzt sein, mit dem man mal vertrauensvoll reden kann? Im nächsten Schritt könnte man das Thema weiter etablieren und zum Beispiel schon im Einstellungsgespräch darüber reden, genauso wie man nach den Erwartungen bezüglich der Stelle gefragt wird. Dann wird es ja einfach akzeptiert. Man nimmt es nicht mehr raus, man stellt es dazu. Das fände ich einen ganz wichtigen Punkt, es wirklich zu benennen, es ansprechen zu dürfen. Zum Beispiel könnte man ja bei einer psychischen Störung einen Behindertengrad haben und dann entsprechende Vorteile beziehungsweise Absicherungen bei der Einstellung bekommen. Aber kaum jemand gibt das an, weil die Angst zu hoch ist, dass man dann gar nicht eingestellt wird. Und so was muss sich ändern. 

Die Frage aus dem Forum: 

  1. Können Sie sich noch an Ihre ersten Einschätzungen zur aktuellen COVID-19 Pandemie erinnern, was hat sich für Sie persönlich seither geändert? 

Ich muss tatsächlich sagen, schon bei den ersten Bildern aus China ging mein Alarmsystem an. Ich habe das gleich sehr ernst genommen, weil ich ja schon immer mit Menschen arbeite. Das habe ich tatsächlich von den alten Menschen, von der Kriegsgeneration gelernt. Die haben immer zu mir gesagt: Wir haben überlebt, weil wir immer überlegt haben: Was zeigen sie uns und was steckt hinter der Nachricht? Seitdem mache ich das ein Stück so in meinem Leben und als ich die Bilder gesehen habe, wie die sich aufgerüstet haben, während man in Deutschland immer noch versucht hat, die Leute zu beruhigen, hat das für mich gar nicht zu den Bildern aus China gepasst. Dann war für mich die Nachricht hinter der Nachricht: Da kommt was auf uns zu und zwar was, das mir nicht gefällt. Und ich habe sehr früh auch das kritisch betrachtet, warum man nicht sofort zum Beispiel den Flugverkehr einstellt, weil klar war, dass durch unsere Vernetzung, durch unsere Globalisierung wir sonst keine Chance haben. Aber es lief einfach weiter und so konnte man zugucken, wie es punktuell überall aufgeschlagen hat in den verschiedenen Nationen. Das fand ich schon sehr bedrückend, sich da so ohnmächtig dann zu fühlen.  

Aber natürlich war die Entwicklung, wie wir sie jetzt haben, für mich auch unvorstellbar. Geändert hat sich für uns alle was, vor allem auch wirklich im privaten Bereich. Mein Partner ist selbstständig als Optiker und hat ein Geschäft. Das war sehr lange unklar, ob sie aufhaben dürfen oder nicht, da man diese Berufsgruppe einfach vergessen hat. Die Optiker und Akustiker sind nirgends aufgetaucht. Dementsprechend war es natürlich auch eine Herausforderung für die Beziehung, weil er praktisch von 100 auf 0 aus einem sehr aktiven Berufsleben runterfahren musste. Da muss man jetzt schon in der Partnerschaft achtsam aufeinander sein, die Gereiztheit des anderen auch ein Stück akzeptieren, die Sorgen, die da jetzt entstehen auf der Partnerseite auch durch den Geldmangel, und das auch einfach ansprechen. Und natürlich fehlen mir auch die echten Kontakte, vor allem zu meiner Pflegetochter und meinem kleinen Ersatz-Enkelchen, die ich nicht sehen kann. Da mache ich mir schon Gedanken, war ich verpasse und wie sich die Beziehung zu diesem kleinen Kind ohne persönlichen Beziehungsaufbau entwickelt. Ich habe aber auch eine sehr anstrengende Zeit auf Station gehabt. Da war mein Urlaub, der jetzt im April stattfinden sollte, so richtig ein Zielpunkt, ein Anker, wo ich dacht, bis dahin halte ich durch bis dahin und dann werde ich einfach Pause haben und in eine andere Welt im wahrsten Sinne des Wortes eintauchen. Und dann ist der praktisch von einer Sekunde auf die andere einfach untergegangen sozusagen. Auch damit muss man dann plötzlich umgehen, sich darauf einlassen, ebenso wie mit den Ängsten und Unsicherheiten. Man muss lernen mit dieser Hilflosigkeit umzugehen, Strategien für sich entwickeln und auf jeden Fall achtsam sein.  

Die Fragen zur Expertise:  

  1. Sie sind seit 8 Tagen in Quarantäne, da Sie auf einer Fortbildung für Pflegekräfte Kontakt mit einer Person hatten, die später positiv auf COVID-19 getestet wurde. Wie erleben Sie die Quarantäne? Welchen Herausforderungen begegnen Sie? 

Erstmal fand ich diese Ausgangssituation sehr belastend. Ich war auf Station, habe ganz regulär noch mein Dienst gemacht bis um 12 Uhr, und auf einmal kam ein Anruf. In dem Moment wusste ich schon, was jetzt kommen wird und dachte, mein Kopf läuft jetzt Amok. In erster Linie habe ich natürlich an all die Kontakte gedacht, die ich in der Zwischenzeit hatte, während ich überhaupt nicht wusste, dass ich mit einer infizierten Person im Kontakt war. Gerade mein Partner zum Beispiel ist eine Risikoperson. Da lief wirklich in Sekundenschnelle alles durch meinen Kopf: Was bedeutet das? Was bedeutet das jetzt für die Station, für mein Umfeld? Und plötzlich war dieses Thema natürlich auch 100% mein Thema. Ich musste dann sofort die Station verlassen und bekam einen Anruf von meinem Arbeitgeber. Da wurde sehr klar, die wussten selber noch nicht ganz genau, wie sie jetzt mit mir verfahren sollen. Dann habe ich nichts mehr gehört und war wirklich erstmal so wie in so einem kleinen Schockzustand. Das war die erste große Herausforderung, mit diesen ganzen Gefühlen, Gedanken umzugehen, das dem Partner beizubringen und so weiter.  

Das war für mich einfach schwierig. Auch weil ich schon gehört hatte, dass Menschen, die gefährdet sind, angefeindet wurden und dachte, vielleicht bekommt jemand Angst, wenn es jemand weiß, vielleicht sogar eine Kontaktangst über einen längeren Zeitraum. Man weiß ja nicht genau, was das gerade bei anderen Menschen alles auslöst. Aber ich habe das dann selbst in die Hand genommen, habe mich bei Bekannten und Freunden, die auch im medizinischen Bereich arbeiten erkundigt, habe Symptombeobachtung gemacht und viele Techniken aus meiner Arbeit mit unseren Patienten genutzt. Ich habe zum Beispiel den Gedankenstopp gemacht. Ich habe mir verboten, mehr als zweimal Nachrichten anzuschauen. Ich habe versucht, mich so gut wie möglich abzugrenzen und mich gut um mich selbst zu kümmern. Ich habe zum Beispiel dann auch meine Erschöpfung gemerkt, die ja eigentlich auch schon vorher da war und habe mir erlaubt, erschöpft zu sein und die Woche der Quarantäne für mich zu nutzen.   

  1. Welche Strategien haben Ihnen in der Zeit der Quarantäne geholfen? 

Ich habe mir ganz klare Regeln gegeben, um mich nicht von dem Thema “Corona” gefangen halten zu lassen. Ich habe mir einen richtigen Strukturplan gemacht. Ich bin regelmäßig aufgestanden, immer zur gleichen Zeit, und habe mir einen Tagesplan gestaltet mit einem Pflichtprogramm. Zum Beispiel habe ich dann meine Fenster geputzt als das erste Pflichtprogramm. Mir war wichtig, etwas Sinnvolles zu machen, nicht bis 12 Uhr schlafen oder so. Dann habe ich ganz viel gelesen und mich zuhause viel bewegt. Ich habe zum Glück auch eine Wohnung mit schöner Seesicht und habe dann versucht, den Blick auf Schlimmeres zu lenken. Ich habe mir gesagt: Wo ist jetzt mein Problem? Ich darf jetzt sieben Tage oder vierzehn Tage nicht raus, aber ich habe Essen, Trinken, ich habe Wasser, ich habe alles. Ich darf über WhatsApp Kontakte knüpfen, mir fliegt nicht das Dach weg, es kommt keine Bombe runter. Das hat mir absolut geholfen. Außerdem habe ich mich mit einer Kollegin, die zeitgleich in Quarantäne war wie ich, zusammengetan, um uns gegenseitig positiv zu motivieren. Wir haben zum Beispiel Gedichte gelernt und die uns dann gegenseitig aufgesagt, von Ringelnatz und Co, also viel auch lustige Sachen, um trotzdem zu lachen. So hat das alles in allem ganz gut geklappt mit sehr viel Selbstfürsorge und Achtsamkeit im Alltag. Das hat mir wirklich sehr viel gebracht. 

  1. Gerade werden viele Anliegen und Forderungen an die Politik herangetragen. Was würden Sie sich vom Gesundheitssystem wünschen, um mit der aktuellen, aber auch mit zukünftigen Pandemien bestmöglich umgehen zu können? 

Gerade sind wir ja mittendrin in diesem großen Thema, so dass eigentlich kein Raum für große Diskussionen oder Schuldzuweisungen ist. Trotzdem stelle ich jetzt einmal mehr fest, dass unser Gesundheitssystem schon seit Jahrzehnten marode ist und die jetzige Situation uns das sehr deutlich zeigt. Zum Beispiel muss man bedanken, dass wir den Ländern, Italien, Spanien, die jetzt besonders leiden, die Pflegekräfte abgekauft haben. Wir haben dafür gesorgt, dass unser Mangel, den man anders hätte ausgleichen können, durch Wertschätzung und Gehaltserhöhungen, durch Kräfte aus anderen Ländern ausgeglichen wird. Das wird dort jetzt sehr deutlich. Natürlich wünsche ich mir jetzt erstmal, dass wir die jetzige Pandemie mit den vorher schon erschöpften Pflegekräften und trotz Fachkräftemangel schaffen. Danach, denke ich aber, müssen wir das Gesundheitssystem komplett neu überdenken. Spätestens jetzt sollte jeder verstanden haben, was wirklich wichtig ist, dass das nicht unbedingt die Autoindustrie ist, die im Gegensatz zu uns einfach eine Lobby hat, und dass wir uns neu aufstellen müssen. Mit den Erfahrungen, die wir jetzt machen, müssen wir einiges verbessern. Das fängt bei Schutzkleidung an und das hört aber auch bei der Fürsorge für die Pflegenden auf, von denen man jetzt verlangt, nachdem sie schon viele, viele Jahre viele Opfer gebracht haben, dass sie auch jetzt weiter ihre Opfer bringen, unerschöpft bleiben und arbeiten. Da möchte ich gerne mal einen Gesundheitsminister Spahn sehen, ob er bereit ist, ohne Schutzkleidung einen Covid-19 Erkrankten zu pflegen.  

  1. Auch unabhängig von der aktuellen Pandemie sind Sie in Ihrem Arbeitsalltag auf einer Psychotherapiestation für Menschen mit Persönlichkeitsstörungen mit unterschiedlichsten Herausforderungen konfrontiert. Welche Situationen sind für Sie besonders belastend?  

Ich bin erst seit zwei Jahren auf dieser Station, aber schon jetzt ist erkennbar, dass unser Patienten-Klientel oft mit viel schwereren Vorgeschichten kommt, also unter anderem mit Drogenkonsum, schweren Suizidversuchen, Gewalterfahrung und teilweise auch Vorstrafen. Da schwingt immer ein großer Schatten mit. Wir haben mittlerweile auch viel mehr Männer, die vorher in forensischen Abteilungen gelandet wären. Das merkt man teilweise an der Dynamik, die da zwischen den Patienten entsteht. Gerade wenn ich dann abends allein im Spätdienst bin, zeigt sich das Problemverhalten und die Impulsivität, die diese Dynamik dann weiter befeuert, noch viel deutlicher. Da kann es als Einzelperson sehr schwierig sein, im Namen des Teams zu sprechen und selbstständig schnelle Entscheidungen zu treffen. Dann zeigt sich auch der Ärztemangeln, wenn ich dringend ärztliche Unterstützung bräuchte und drei Stunden allein im Spätdienst warten muss, bis der Arzt vom Dienst zu mir kommen kann. Das meine ich bitte nicht als Schuldzuweisung, denn ich weiß auch, dass das ein Systemproblem ist. Aber das finde ich oft unzumutbar, auch für die Patienten, und das nehme ich dann doch auch öfter als größeres Paket mit.  

  1. Welche Situation erleben Sie dem gegenüber als besonders bereichernd? 

Ich arbeite auf einer Station, die nach DBT (Anmerkung: Dialektisch Behaviorale Therapie nach Marsha Linehan, entwickelt für Menschen mit chronischer (Para-) Suizidalität und Emotionsregulationsstörungen) arbeitet und ich bin 100% von der DBT-Grundhaltung überzeugt. Allein das bereichert meine Arbeit an sich schon, weil ich etwas mache, von dem ich überzeugt bin und weil das mir eine ganz klare Handhabung gibt. Außerdem sehe ich die Statistiken und die Erfolgszahlen, was man damit erreichen kann. Dazu kommt eine starke Gleichwertigkeit, mit der ich hier im Bezugstandem arbeiten kann. Im Gesundheitswesen gibt es ja oft noch die ganz klaren Hierarchien. Das erlebe ich hier überhaupt nicht und gibt mir die Chance, ganz kreativ zu sein in meiner Arbeit mit dem Patienten. Andererseits lerne ich durch die Patienten viel über mich selbst und entwickle mich mit ihnen mit. Diese Entwicklung hört nie auf und ist ein großer Gewinn. Ebenso erlebe ich aber auch, dass die Patienten besser mit mir in Beziehung gehen können, wenn ich mich authentisch zeige und sich zum Beispiel für ein Problemverhalten entschuldigen. Dann merke ich immer wieder, es lohnt sich, für diese jungen Menschen hinzustehen. Das lege ich dann immer wieder gerne in mein Schatzkästchen zu meiner Arbeit hier. 

DIE ZWÖLFTE – Abschlussfrage 

  1. Welchen Rat möchten Sie Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten oder sich in einer entsprechenden Ausbildung befinden, hinsichtlich ihrer eigenen mentalen Gesundheit mit auf den Weg geben? 

Erstmal muss man sich bewusst machen, dass der Pflegeberuf wirklich ein hochqualifizierter Beruf ist, auch wenn das leider nicht immer und überall in Deutschland so anerkannt wird. Dessen darf man sich bewusst sein und sich auch selbst wertschätzen, für das was man leistet. Deshalb möchte ich einen Appell an die jungen Auszubildenden senden, dass sie sich ihres Wertes bewusst sein dürfen und auch bestimmte Dinge ablehnen oder einfordern dürfen bei ihren Arbeitgebern. Dann darf man sich auch weigern nach der Nachtschicht noch eine Frühschicht zu machen, um den Patienten vor einer übermüdeten Pflegekraft zu schützen. Pflege ist eine Profession, die genauso wie andere Berufe Rechte und Pflichten hat. Ich gebe alles und erwarte von meinem Arbeitgeber auch eine Fürsorgepflicht, und dass ich gute Arbeitsbedingungen habe und nicht Dinge machen muss, die nicht in meinem Aufgabenbereich sind. Wenn man anfängt auf diese Dinge hinzuweisen, wird auch die Abwanderung zum Beispiel in die Schweiz abnehmen. Wir können auf in Deutschland anfangen, uns mehr wertzuschätzen, und entsprechend zu bezahlen und die Arbeitsschutzmaßnahmen verbessern.  

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