Meine Interviewpartnerin Sophie ist 25, lebt in Berlin und hat nach ihrem Abitur ein FSJ im Krankenhaus gemacht, in dem sich ihre Berufsentscheidung gefestigt hat. Die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin hat sie direkt im Anschluss begonnen und arbeitet seitdem in ihrem Beruf auf der Station für Thorax- und Gefäßchirurgie, auf der zu Beginn der Pandemie auch Covid-Fälle behandelt wurden (inzwischen wurde hierfür eine eigene Station eingerichtet).
Hallo Sophie, sehr schön, dass du dich zu diesem Interview bereit erklärt hast. Konkret wollen wir uns der Frage widmen, inwiefern Trauer in deinem Beruf als Krankenpflegerin eine Rolle spielt, wie du sie erlebst und wie in deinem beruflichen Umfeld mit ihr umgegangen wird.
– Sehr gerne.
Beginnen wir mit einer grundsätzlichen Frage: Hat es in deiner Ausbildungsentscheidung eine Rolle gespielt, dass zu deinem Beruf auch der Umgang mit dem Tod gehört?
-Ja, ich habe definitiv im Vorfeld darüber nachgedacht.
Im familiären Umfeld hatte ich bereits Erfahrungen damit gemacht, sodass ich zumindest generell darauf vorbereitet war.
Den Weg in die Kinderpflege hatte ich für mich aber ausgeschlossen, da mir Todesfälle bei Kindern noch ein Stück näher gehen. Vor allen Ärzt*innen und Pfleger*innen, die diesen Weg einschlagen, habe ich den größten Respekt und finde ihre Arbeit bewundernswert.
Wurdest du während der Ausbildung gut auf das Thema darauf vorbereitet?
-Tatsächlich hatten wir im 4. Semester einen großen Themenblock zur Trauer- und Trauerbewältigung, in dem wir die Theorie behandelt haben und uns während mehrerer Hospizbesuche einen eigenen Eindruck machen durften.
Wie lange warst du bereits im Krankenhaus tätig, als du den ersten Todesfall mitbegleitet hast?
-Das war bereits während meiner Zeit als FSJlerin.
Es gab eine sehr liebe und schwerkranke Patientin, mit der ich mich häufig unterhalten habe. Im FSJ blieb dafür mehr Zeit als im Berufsalltag, Stichwort Pflegenotstand. Für mich kam es sehr überraschend als ich zu meiner Schicht kam und mir gesagt wurde, dass sie heute wahrscheinlich sterben wird, was dann auch der Fall war.
Rückblickend wünschte ich, dass ich noch einmal zu ihr ins Zimmer gegangen wäre, um mich zu verabschieden. Damals war das für mich aber noch eine sehr beängstigende Situation, inzwischen ist das natürlich anders.
Wurdest du in dieser und ähnlichen Situation begleitet?
-In Bezug auf meine Kolleg*innen konnte ich mich immer glücklich schätzen.
Sowohl in meinem FSJ als auch während der Ausbildung gab es immer jemanden, der mal gefragt hat wie die Situation für mich ist und sich einfach mit mir ein bisschen hingesetzt hat. Auch war es anfangs so, dass mir alles rund um den Sterbeprozess genau erklärt wurde, wodurch sich meine Angst vor Fehlern reduziert hat.
In meinem jetzigen Berufsalltag ist es immer noch so, dass mir bestimmte Schicksale und Todesfälle besonders nahe gehen. In meinem Stationsteam wird das aber wirklich super geregelt, da gibt es immer Möglichkeiten miteinander zu sprechen, man wird mit seinen Gefühlen und auch seiner Trauer nicht alleine gelassen.
Wie häufig kommt es in deinem Arbeitsalltag zu Trauerfällen?
-Auf normalen Stationen sind es durchschnittlich etwa sieben Patient*innen jährlich, während der Pandemie waren es allerdings noch deutlich mehr. Das ist aber von Station zu Station unterschiedlich, einige Patient*innen bevorzugen es auch ihre letzten Tage zu Hause zu verbringen und werden dann aus dem Krankenhaus entlassen.
Hat sich dein Umgang mit dem Tod von Patienten über die Jahre verändert?
– Definitiv. Anfangs ist es eine Überwindung und man gewinnt erst mit der Zeit Sicherheit im Umgang mit dem Sterbeprozess, den trauernden Angehörigen und allem was dazugehört.
Wie gestaltet sich der Umgang mit den Angehörigen, führt ihr vorab Gespräche mit ihnen über den bevorstehenden Tod?
-Teilweise ist es so, dass die Patient*innen immer mehr abbauen und es sich schon abzeichnet, dass sie bald sterben werden. Ein Beispiel hierfür wären Tumorpatienten die nach der OP eine schwere Infektion erleiden, vor allem wenn sie auch noch älter sind. In so einem Fall sind die Ärzt*innen dazu verpflichtet, die Angehörigen zu informieren und zu erfragen, welche Maßnahmen noch vorgenommen werden sollen. Darunter fallen etwa die Reanimation, Intubation und Dialyse der todkranken Patienten sowie ob er intensivmedizinisch weiterbetreut werden soll.
Liegt noch ein adäquater Zustand vor, so unterschreiben die Patient*innen selbst, ansonsten machen das die Angehörigen oder gesetzliche Betreuer.
Wie gestaltet sich die Behandlung der sterbenden Patient*innen in ihren letzten Tagen?
-Uns ist es wichtig, ihnen so viel Ruhe wie möglich zu bieten. Entsprechend versuchen wir, sie wann immer möglich in ein Einzelzimmer zu legen und nur noch notwendige und/oder vom Patienten erwünschte Maßnahmen vorzunehmen, wie etwa die Mundpflege, um die Austrocknung zu verhindern.
Was passiert sobald der Tod eingetreten ist?
-Wir Krankenpflegerinnen sind meistens die ersten, die dabei sind. Falls möglich kümmern wir uns zu zweit um die Totenversorgung und versuchen auch Auszubildende heranzuführen, wenn sie sich bereit dazu fühlen.
Um den Tod festzustellen wird ein Arzt angefordert, nachdem dies dann erneut bestätigt wurde kontaktieren wir die Angehörigen und erfragen, ob sie noch einmal kommen möchten.
Anschließend waschen wir die Person und schließen ihre Münder und Augen. Dabei sagen wir dem Verstorbenen was wir konkret machen, etwa, dass wir ihn jetzt auf die Seite drehen werden, um einen sehr respektvollen Umgang beizubehalten.
Für angehende Pfleger*innen und Ärzt*innen wäre es vielleicht noch wichtig zu wissen, dass sich im Körper zum Zeitpunkt des Todes meist noch Luft befindet. Es kann also dazu kommen, dass der Verstorbene noch ein letztes Mal vermeintlich Luft ausstößt. Als ich das erste Mal bei so einer letzten Pflege dabei war wurde mir das zum Glück vorher mitgeteilt, wobei ich trotzdem ein wenig erschrocken bin.
Gibt es noch weitere spezielle Rituale die ihr ausübt?
– Ja. Generell bemühen wir uns den Verstorbenen möglichst friedlich aussehen zu lassen, wir machen ihm noch einmal die Haare und kleiden ihn an. Je nachdem wie lange es dauert bis die Familie eintrifft, stellen wir auch Schälchen mit aromatisierten Ölen auf, sodass mögliche Gerüche übertüncht werden. Die Angehörigen sollen sich in einer so angenehmen Atmosphäre wie möglich verabschieden dürfen.
Außerdem entzünden wir eine Kerze im Patientenzimmer und falten ihnen die Hände vor der Brust, oft fügen wir noch ein kleines Blumengesteck ein. Ein wichtiges Ritual ist auch die Öffnung der Fenster. Für uns symbolisiert das die Seele des Verstorbenen, die auf diese Art ihren Weg hinausfinden kann.
Wie verläuft dann die anschließende Verabschiedung für die Angehörigen?
-Man begleitet sie hinein und erklärt ihnen, wie es weiter geht. Zusätzlich haben wir im Krankenhaus auch ein Palliativteam das sich sowohl um den todkranken Patienten als auch die trauernden Angehörigen kümmert. Wir können sie bei Bedarf immer anfordern und sie nehmen sich dann wirklich Zeit um sich zu kümmern.
Gibt es in diesem Kontext eine Geschichte die dir besonders nahe ging?
-Es gab mal ein älteres Ehepaar das mich wirklich berührt hat. Der Mann war Patient auf unserer Station und hatte nur noch einige Tage zu leben. Die Frau selbst war auch krank, normalerweise darf man sie wegen des gemischten Geschlechts jedoch nicht gemeinsam in ein Zimmer legen. Da sie aber nur noch so wenig gemeinsame Zeit hatten, haben wir eine Ausnahme gemacht.
Die Frau war bis zum letzten Atemzug an der Seite ihres Mannes und hat seine Hand gehalten, als er friedlich eingeschlafen ist. Nachdem ich ihn zurecht gemacht hatte blieb sie auch weiter bei ihm sitzen und hat seine Hand gehalten, bis er vom Bestattungsinstitut abgeholt wurde.
Das klingt sehr schön, auch wenn es für die Frau sicher nicht leicht war.
-Absolut, sie war eine Kämpferin. Das hat mich damals sehr beeindruckt.
Gibt es Möglichkeiten für euch, sich direkt an jemanden in der Klinik zu wenden, wenn euch ein Trauerfall besonders nahe geht und ihr Unterstützung benötigt?
-In solchen Fällen sprechen wir im Team viel darüber. Es gab mal eine Patientin die eher überraschend von uns gegangen ist und während ihres Krankheitsverlaufs immer wieder bei uns auf Station war. Da uns das allen ziemlich nahe ging, haben wir ein Gruppengespräch darüber geführt und uns dabei auch über die schönen und witzigen Erinnerungen, die wir an sie hatten, ausgetauscht.
Außerdem gibt es sowohl für Patienten als auch für uns die Seelsorge. Bei uns ist das eine Dame, die das ehrenamtlich macht. Früher war sie selbst Krankenschwester, dann hat sie die Weiterbildung gemacht und engagiert sich nun auf diese Art. Wir können sie jederzeit anrufen und anfordern. Sie kommt dann und spricht mit den Patient*innen, spendet Trost und hört einfach zu.
Hast du Tipps für junge Menschen die sich gerade im Studium oder in der Ausbildung befinden und ebenfalls einen Job anstreben, in dem sie mit dem Thema Trauer konfrontiert sein werden?
-Die Frage finde ich wirklich berechtigt, weil es meinem Empfinden nach gerade im Medizinstudium etwa zu kurz kommt. Ich hatte schon oft junge Ärzte die gerade frisch vom Studium kamen und dann während der Nachtschicht mit dem Pflegepersonal allein auf Station waren.
Wenn da dann zum ersten Mal ein Todesfall vorkommt und die Leichenschau abgehalten werden muss, sind sie emotional ein bisschen überfordert und haben Angst etwas falsch zu machen.
Hier ist es wirklich wichtig den neuen Ärzt*innen und Pfleger*innen ein Gefühl von Ruhe zu vermitteln. Ruhe ist das A und O, genau wie nochmal zu erklären welche Aufgaben nun erledigt werden müssen.
Wenn Assistenzärzt*innen sich wirklich überfordert fühlen, ist es auch immer möglich den Oberarzt anzufordern, damit sie erstmal Sicherheit in der Situation gewinnen. Beim nächsten Mal klappt es dann meist auch allein.
Im Zweifelsfall ist es immer besser um Hilfe zu bitten, damit alles auch respektvoll ablaufen kann und nichts untergeht.
Also, nochmal kurzgefasst: Bewahrt Ruhe und traut euch, erfahrene Ärzt*innen und Pfleger*innen um Rat zu fragen, wenn ihr euch unsicher fühlt.
Was würdest du zu jemandem sagen, der erst seit kurzem im Beruf ist und sich schwer damit tut, sich emotional abzugrenzen?
-Es wird besser! Gerade anfangs nagen Trauerfälle ziemlich an einem, besonders, wenn man die Betroffenen intensiv betreut hat. Auch im Berufsalltag ist es dann noch so, dass man bei diesen Fällen mittrauert. Aber grundsätzlich wird es einfacher, da man ja weiß, dass man sein Möglichstes gegeben hat.
Außerdem ist es ganz wichtig zu sagen, dass die positiven Interaktionen mit Patient*innen deutlich überwiegen!
Vielen Dank!