Hilfe für Helfende: Ein kleiner Überblick

Ein Beitrag von David Graefe

Auch wenn sich Gesundheitsberufler*innen, wie der Name suggeriert, viel mit der physischen und psychischen Gesundheit von Menschen auseinandersetzen, fehlt leider bei vielen selbst das Bewusstsein dafür, dass es ihnen nicht gut geht oder der Impuls, etwas für die eigene Gesundheit zu tun. Viele sehen sich mit ihren Problemen alleine und wissen oft gar nicht, wo und bei wem sie sich melden können, oder wie sie sich selber helfen können.

Gerade in der aktuellen Lage ist es wichtiger denn je, sich auch um seine eigene psychische und physische Gesundheit zu kümmern. Dazu gibt es von internationalen Gesundheitsorganisationen wie der World Health Organisation (WHO), des Inter-Agency Standing Commitee (IASC), der Vereinten Nationen und des Internationalen Roten Kreuzes einige Empfehlungen für Fach- und Führungskräfte in Gesundheitsberufen. Strategien für Stressreduktion umfassen die Akzeptanz heftiger Emotionen in der aktuellen Situation, sowie die Aufrechterhaltung von Gesundheitsverhalten (gesundes Essen und genug sportliche Aktivität) und das Rückbesinnen an erfolgreiche Bewältigungsstrategien von schon erlebten Krisen. Gerade soziale Kontakte spielen dort eine sehr wichtige Rolle. Falls dies aufgrund von aktuellen Auflagen nicht in Person möglich sind, sollte auf Kommunikationsmedien zurückgegriffen werden. Nicht zu vergessen sind Grundbedürfnisse wie ausreichend Schlaf und Pausen für Essen und Ausruhen. Außerdem sollte es möglich sein, auf Unterstützung im Team oder professioneller Hilfe zurückgreifen zu können.

Für Führungskräfte ist es unter anderem wichtig, dass den Mitarbeiter*innen Wertschätzung für ihre Arbeit vermittelt wird. Weiter sollen sie psychische Belastungen ihrer Mitarbeiter*innen ernstnehmen und diese ermutigen, mit Problemen zu ihnen zu kommen. Wichtig hierfür ist das Etablieren und Aufrechterhalten einer vertrauensvollen Atmosphäre. Durch klare Kommunikation und Eingehen auf Probleme und Anmerkungen anderer wird ein Raum der „psycological safety“[i] geschaffen. Dieser hilft, kollegialen Austausch und somit Selbstfürsorge zu fördern, und unterstützt Mitarbeiter*innen auch dabei, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es sollte nicht stigmatisiert sein, Hilfe von außen oder durch das eigene Team hinzuzuziehen. Daher sollte gerade die Führungsperson als Vorbild für Selbstfürsorge dienen. Zu guter Letzt ist es wichtig, klare Verantwortlichkeiten im Team zu verteilen.[ii]


Weitere Programme zur Stressreduktion in anderen Situationen umfassen zum einen Mentoring-Programme im Medizinstudium und Initiativen für medizinisches Personal – nicht nur in der palliativmedizinischen Versorgung.

Das Mentoring-Programm vom Universitätsklinikum in Eppendorf (Hamburg) sieht vor, dass Studierende ab dem zweiten oder dritten Semester Teil einer Mentor*innengruppe werden können, welche von Mitgliedern der medizinischen Fakultät geleitet wird. Durch das Erstellen von Bedürfnisprofilen für die Studierenden können Ziele und Durchführung besser auf die Teilnehmer*innen abgestimmt werden.
Ziel des Mentoring-Programmes ist es, dass Studierende lernen, besser ihre persönlichen Ziele zu kennen, somit besser mit Herausforderungen umzugehen, mehr Selbstvertrauen zu entwickeln, dadurch besser selbstgesteckte Ziele zu erreichen und eine höhere Motivation für das Studium zu entwickeln. Außerdem soll eine stärkere Identifikation mit der medizinischen Fakultät hergestellt werden und sollen Studierende dabei unterstützt werden, z.B. geeignete Promotionsthemen zu finden.

Eine regelmäßige Auswertung durch Befragungen der Studierenden und steigende Teilnahmezahlen haben gezeigt, dass das Mentoring-Programm seit seiner Gründung im Jahr 2011 immer besser angenommen wird und sich die erhofften Ziele einstellen. Der Großteil der Studierenden erkennt den Nutzen dieses Programmes für sich selbst und empfiehlt dieses daher auch weiter.[iii]

Leider sind solche Programme noch nicht an jeder medizinischen Fakultät Standard, was sehr zu bedauern ist, wenn man sich die Zufriedenheit und die Effekte auf die Studierenden ansieht. Es ist klar zu erkennen, dass nicht nur den Studierenden, sondern auch der Uniklinik geholfen ist, solch ein Programm zu etablieren.

Das letzte Programm, welches ich hier kurz vorstellen will, bezieht sich auf palliativmedizinische Versorgung und legt Möglichkeiten dar, welche helfen sollen, mit Stress, welcher durch moralische Bedrängnis hervorgerufen wird, besser umzugehen, um diese vielleicht auch schon präventiv zu verhindern.

Diese Initiativen zielen darauf ab, gerade medizinischem Personal, welches sich in der Ausbildung befindet, aber auch Personal, welches schon jahrelang mit palliativmedizinischer Versorgung zu tun hat, zu helfen.

Denn nur wenn Mentor*innen, Führungskräfte und erfahrenes Personal es schaffen, selbst richtig mit solchen Situationen umzugehen, können diese ihre Erfahrung weitergeben und kann eine Atmosphäre geschaffen werden, die allen hilft.

In moralischer Bedrängnis fühlen sich Personen, welche ein moralisches Problem erkennen, aber nicht agieren, entweder wegen inneren oder äußeren Zwängen. Dieser Zustand des handeln wollen, es aber nicht tun (können), kann zu sehr großem, persönlichem Unwohlsein bis hin zu psychischen und physischen Gesundheitsproblemen führen.
Innere Zwänge können ein Gefühl von Ohnmacht oder Unsicherheiten sein, welche aufgrund einer schlechten Team-Zusammengehörigkeit oder starrer Hierarchie hervorgerufen wird. Ein externer Zwang kann z.B. eine Patientenverfügung sein, welche bestimmte Handlungen verbietet/untersagt.

Hauptprobleme sind meist zu späte Entscheidungen und das damit verknüpfte zu späte Handeln. Manchmal wird dem*r Patient*in zu spät die Wahrheit über seine*ihre Situation offenbart und somit bestimmte Handlungsoptionen nicht mehr wahrgenommen. Beispielsweise warten Patient*innen ohne zuständige Angehörige oder Vormundschaft, was bestimmte Entscheidungen verspätet und oft nicht in Komfortpflege resultiert. Außerdem kann es passieren, dass der*die Betreuer*in bestimmte Patientenwünsche nicht wahrnimmt und somit die behandelnde Person in moralische Bedrängnis bringt.

„Best practice solutions“ sind zum einen Diskussion von Problemen und Debriefing von Fällen. Hilfreich können dabei eine ethische Konsultation sein, welche tiefe und persönliche Unterhaltungen unterstützt. Weiterführend kann für Reflektion Achtsamkeit als Quelle persönlicher Ermächtigung dienen. Gleichaltrige und Mentor*innen können, wie erwähnt, auch helfen. Dabei ist es wichtig, dass auch diese unterstützt werden. „Train the trainers“ Programme sollten jedem Lehrenden zu Verfügung stehen, in denen es auch Nachbesprechungen über Beispiele moralischer Bedrängnis gibt und Strategien für eine offene Kommunikationsstruktur vermittelt werden. Weiter sollte es eine Verbesserung des ethischen Curriculums und eine Etablierung von Peer-Support-Programmen geben.[iv]

In vielen Situationen ist medizinisches Personal Stress und unangenehmen Gefühlen ausgesetzt. Um die Arbeitsumgebung angenehmer und somit für die eigene Gesundheitsaufrechterhaltung fördernder zu gestalten, gibt es viele verschiedene Herangehensweisen. Wichtig ist nicht nur, strukturelle Veränderungen anzustoßen, sondern auch auf persönlicher Ebene Möglichkeiten zur Stressreduktion zu schaffen. Wir leben in einer Zeit, in der medizinische Versorgung immer komplexer und vielschichtiger wird. Dabei sollten wir nicht nur die Patient*innen, sondern auch uns selbst nicht aus den Augen verlieren. Denn nur mit einem starken Team und unterstützender Umgebung können wir auch in den schlimmsten und stressigsten Situationen mit Kraft, Entschlossenheit und Empathie handeln.

Die Blogeinträge spiegeln die persönlichen Meinungen und Erfahrungen der Autor*innen wider.

Für unsere Sammlung an Tools und Links zu Hilfsangeboten schaut gern hier vorbei.


Literatur:

[i] Duhigg, C. (2016): Smarter Faster Better. The Secrets of Being Productive in Life and Business. Random House US, S. 38-70. Textauszug ebenso zu finden unter URL: https://theaxelagroup.com/wp-content/uploads/2019/01/What-Google-Learned-From-Its-Quest-to-Build-the-Perfect-Team.pdf(zuletzt abgerufen: 22.10.2019).

[ii] Petzold M B, Plag J, Ströhle A (2020) Umgang mit psychischer Belastung bei Gesundheitsfachkräften im Rahmen der Covid-19-Pandemie. Nervenarzt 91(5):417–421. DOI 10.1007/s00115-020-00905-0

[iii] Bergelt C, Heinen I, Guse J (2018) Mentoring für Studierende in der Medizin: Darstellung und Evaluation eines differenzierten Mentoringprogramms an einer medizinischen Fakultät. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 61(2):210–217. DOI 10.1007/s00103-017-2674-y

[iv] Rosenthal M S, Clay M (2017) Initiatives for Responding to Medical Trainees’ Moral Distress about End-of-Life Cases. AMA J Ethics 19(6):585–594. DOI 10.1001/journalofethics.2017.19.6.stas1-1706

Ein Gedanke zu „Hilfe für Helfende: Ein kleiner Überblick

  1. Kathrin Keller Antworten

    Ja, leider sind solche Programme noch längst kein Standard in den Unis.
    So viel könnte alleine schon durch ein besseres Bewusstsein gegenüber der eigenen Gesundheit erreicht werden.
    Gesundheitsfördernde Kommunikation lässt sich prinzipiell auch einfach (und kostengünstig) vermitteln, ich hoffe, dass wir hier bald eine Veränderung sehen.

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