„Diese Anerkennung in der Gesellschaft hätten wir immer schon gebraucht.“

Dieses Interview ist im Rahmen einer Kooperation mit Hashtag Gesundheit entstanden. 

Ein Interview von Catherine Fleck-Vidal 

Rhea (28) ist eine Pflegefachkraft aus Berlin. Sie ist als Leasing-Pflegefachperson tätig und wird in verschiedenen Krankenhäusern auf der Intensivstation eingesetzt. Aus eigener Erfahrung kennt sie Situationen und Zeiten, in denen man bis zur eigenen Erschöpfung und darüber hinaus arbeitet. – Weil sie sich unter den aktuellen Arbeitsbedingungen nicht vorstellen kann, 100% und bis zur Rente in der Pflege zu arbeiten, baut sie sich als Fitnesstrainerin ein zweites Standbein auf. 

 DIE FÜNF – Einstiegsfragen: 

  1. Mentale Gesundheit ist für mich … 

…, sich selbst als Priorität zu setzen. Im Erwachsenenleben lernt man, auch mal Nein zu sagen und Balance zu schaffen. Gerade wenn man viel Stress hat, ist es wichtig, auch viel Ruhe und einen guten Ausgleich zu haben und Grenzen zu erkennen – also Selbstfürsorge. Dazu muss man natürlich erst einmal wissen, wo die eigenen Grenzen sind, bevor man eine Entscheidung treffen kann, wie man gesund damit umgeht. 

  1. Was tust du persönlich für deine eigene Psychohygiene/ um Abstand von deinem Berufsalltag zu bekommen? 

Wenn ich einen stressigen Arbeitstag oder -woche hatte, dann brauche ich viel Zeit für mich alleine, um runterzukommen, wobei auch sehr viel Sport hilft. Außerdem meditiere ich, um mir zusätzliche Ruhe zu verschaffen. Aber ich bin in dem Sinne auch ein bisschen introvertiert. Andere Menschen brauchen da vielleicht eher einen sozialen Ausgleich. Das ist auch in Ordnung. Jeder sollte da seinen eigenen Weg finden. 

  1. Worin siehst du erste „Warnsignale“ beginnender psychischer Probleme bei Kolleg*innen und was tust du persönlich, wenn du diese bemerkst? 

In der Ausbildung haben wir immer wieder etwas gelernt über Burnout und Burnout-Zeichen, wie man das erkennt und was man tun soll. Da finde ich es schon wichtig, dass man sich im Kollegium gut unterstützt und sich gegenseitig gut im Auge behalten kann. Und wenn man zum Beispiel Reizbarkeit oder einfach Vergesslichkeit oder Erschöpfung bemerkt, das einfach anspricht. Aber für mich ist das etwas schwieriger dadurch, dass ich als Leasing-Schwester nicht fest in einem Team arbeite und quasi keine direkten Arbeitskolleg*innen habe. Da bin ich eher auf mich selbst fokussiert. Ich denke, da hat schließlich jeder so sein Päckchen zu tragen. Natürlich ist es auch wichtig, erste Warnzeichen in anderen nahestehenden Menschen zu erkennen und anzusprechen. Gleichzeitig finde ich es aber noch viel wichtiger, auf sich selbst zu achten und es zu merken, wenn man beispielsweise keine Lust mehr hat, zur Arbeit zu gehen. Gerade wenn man dieses Gefühl hat, sich nur noch zur Arbeit zu schleppen, ist das ein erstes Warnsignal. Aber auch körperliche Erschöpfung, Reizbarkeit oder eine negative Sicht auf alles, was mit der Arbeit zu tun hat, weisen auf eine Überlastung hin. 

  1. Was macht es deiner Erfahrung nach gerade für Behandelnde/Helfende so schwer, selbst Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen?  

Tatsächlich finde ich es in meiner Situation als Leasing-Pflegerin nicht so schwierig, weil man eben kein festes Team hat. Aber die meisten arbeiten ja in einem Team und wollen dann auch für dieses Team da sein.  Wenn man sich dann rausnimmt, obwohl man weiß, da ist die Kacke am Dampfen, ist das sehr schwer. Man weiß ja, dass es für das Team zusätzlichen Stress bedeutet, wenn dann noch eine Person fehlt. Dann wirklich die Notbremse zu ziehen, ist ein schwieriger Schritt und eine große Hürde, weil man das Team nicht im Stich lassen will. Ich selbst musste mich von einer guten Freundin überreden lassen, zum Arzt zu gehen, als es mir schlecht ging. Ich weiß nicht, ob ich das auch von alleine gemacht hätte, wenn sie mir nicht den Spiegel vorgehalten hätte. Deswegen ist ein gutes Support-System, gute Leute um sich zu haben, so wichtig. 

  1. Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, um das Thema „psychische Störungen“ besonders bei im Gesundheitswesen arbeitenden Menschen zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren? 

Tatsächlich finde ich, es ist schon auf einem guten Weg. Gerade innerhalb des Krankhauses merkt man schon, dass die Leute versuchen, auf sich zu achten – allein, wenn man schaut, wie viele Menschen nicht 100% arbeiten. Ich würde sagen, die Mehrheit gerade in der Pflege ist auf einer Teilzeitstelle. Wenn man da Vollzeit arbeitet, wird man langfristig körperlich und auch psychisch untergehen. Das ist aber oft eine Frage der Mentalität und ich glaube, das geht schon in die Richtung, dass die meisten da besser auf sich achten.  

Die Frage aus dem Forum: 

  1. Was wünscht du dir im Hinblick auf mentale Gesundheit als Fachkraft während der Corona-Pandemie von Patient*innen und Angehörigen oder auch generell? 

Also von Patienten und Angehörigen erwarte ich nichts. Aber generell, was mich am meisten genervt hat während der Corona-Zeit, war die Anerkennung, die man sonst nie bekommen hat. Da hätte ich mir einfach mehr Selbstverständlichkeit erwünscht und nicht dieses Helden-Prinzip, dass wir jetzt auf einmal Helden sind, obwohl das, was wir jetzt in der Corona-Zeit gemacht haben, nichts anders ist als das, was wir jeden Tag zuvor und danach machen. Corona ist nur noch wieder eine Krankheit. Und wir kümmern uns jeden Tag, rund um die Uhr, das ganze Jahr um kranke Menschen. Und jetzt, nur weil es eine Pandemie ist, heißt es nicht, dass der Job dadurch anstrengender wird. Es ist einfach das erste Mal in meinem Leben in Deutschland, dass wir die Anerkennung dafür kriegen, wie anstrengend der Job wirklich ist. Corona hat damit aber eigentlich nichts zu tun, sondern diese Anerkennung in der Gesellschaft hätten wir eigentlich immer schon gebraucht und nicht erst jetzt durch so einen plötzlichen Wandel auch in der Sprache, wenn von “Helden” und “Kämpfern an vorderster Front” gesprochen wird.  

Die Fragen zur Expertise:  

  1. Gibt es bestimmte Rituale, die dir helfen, die du vielleicht jeden Tag oder tagsüber manchmal machst? 

Ich weiß, manchmal hilft mir eine Morgenroutine, aber manchmal hilft es mir auch einfach, eben gerade keine Routine zu machen, also einfach aufstehen, reinspüren und erkennen, wie fühle ich mich heute, was brauche ich jetzt gerade. Ich versuche immer wieder zu reevaluieren und einen kurzen Check zu machen, was ich jetzt brauche. Weil das, was man braucht, nicht immer jeden Tag das Gleiche ist. Was mir aber immer hilft, ist regelmäßig Sport machen. Wenn ich länger keinen Sport mache, merke ich schon, dass ich dadurch einfach nicht so gut gelaunt bin. 

  1. Was brauchst du persönlich, um gerne zur Arbeit zu gehen? 

Ich brauche auf jeden Fall genug Schlaf. Ich glaube, guter Schlaf wird nicht oft genug priorisiert. Vor allem im jungen Alter wird manchmal vernachlässigt, wie wichtig es ist, allermindestens sechs Stunden, wenn nicht acht Stunden Schlaf zu bekommen. Außerdem brauche ich immer die richtige Balance zwischen Freizeit und Arbeitsleben. Ich merke, wenn ich zu viele Dienste mache, diese Dauererschöpfung und dieser Dauerstress, dass ich nur in meiner Freizeit am Erholen bin, dann geht es in die falsche Richtung. Dafür brauche ich fast genauso viel Frei wie Arbeitszeit. Da ist ja jeder anders und manche können das vielleicht besser ab. 

  1. Und während der Arbeit selbst: Welche Situationen machen dich besonders zufrieden  

Was ich immer noch an dem Beruf liebe, ist das ständige Lernen, also ein ständiger Weiterentwicklungsprozess. Dein Wissen ist deine Macht in der Pflege. Ich finde, Momente, wenn du erkennst, dass du dich selbst verbessert hast, entweder in deinen Arbeitsabläufen oder einfach in deiner Patientenversorgung oder deinem Handeln in Notfallsituationen, geben mir ein gutes Gefühl, weil ich daran erkenne, dass ich mich weiterentwickelt habe. 

  1. Welche Situationen sind im Arbeitsalltag besonders schwierig für dich? 

Am schwierigsten ist für mich sehr oft die Arbeitsatmosphäre im Krankenhaus. Da hat man immer wieder innerhalb des Teams Leute, die schon gestresst zur Arbeit kommen, weil der Job eben so anstrengend ist, die nicht gut auf sich achten oder weil vielleicht auch Zuhause schon Frust aufgebaut wurde. Dann wird schnell mal etwas im falschen Ton gesagt oder man kotzt sich einfach nur über Sachen aus, statt eine freudige Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Deswegen ist für mich auch der letzte Rat für Leute in Ausbildung, dass der Bereich, in dem man arbeitet, eigentlich egal ist, wenn man das richtige Team hat. Die Leute, mit denen man arbeitet, machen da enorm viel aus. Das merke ich durch meine Situation als Leasing-Pflegerin immer wieder, wenn ich in unterschiedliche Teams komme und merke, wie unterschiedlich die Arbeitsatmosphäre und die Arbeitsstimmung sein können. Kein festes Team zu haben, kann da ganz schön anstrengend sein, weil das feste Team viel ausmachen kann, wenn der Job auf die Nerven geht.   

  1. Was würdest du Berufseinsteiger*innen oder Menschen, die gerade noch in der Ausbildung sind oder studieren, raten? 

Wirklich hinterfragen: Warum möchte ich diesen Beruf machen? Oft geht man in den Beruf, weil man aus einer medizinischen Familie kommt – die Mama ist Ärztin oder der Papa ist in der Pflege oder sonst was. Dabei ist es viel wichtiger, dass du selbst den Beruf machen möchtest für dich und weil du dafür eine Leidenschaft hast und nicht wegen irgendwelcher extrinsischen Motivationen. Sowohl die Ausbildung als auch ein entsprechendes Studium kosten einfach viel Zeit, Geld und Energie. Da sind dann das Gehalt und ein Dankeschön von Patient*innen nicht genug, man muss den Job schon auch wirklich gerne ausüben wollen. Meine Erfahrung ist einfach, dass man viel mehr reinsteckt als man zurückbekommt. Außerdem würde ich empfehlen, nach dem Schulabschluss ein Jahr frei zu machen, erstmal zu arbeiten, zu reisen oder ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen. Es ist wichtig, erstmal herauszufinden, wer man wirklich ist und was man will, bevor man in das komplette Berufsleben einsteigt, weil man später an diesen Punkt nicht mehr wirklich zurückkommt, denke ich. 

DIE ZWÖLFTE – Abschlussfrage 

  1. Welchen Rat möchtest du Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten oder sich in einer entsprechenden Ausbildung befinden, hinsichtlich ihrer eigenen mentalen Gesundheit mit auf den Weg geben? 

Versuche immer, deine mentale Gesundheit zu evaluieren und reevaluieren. Stell dir wirklich die Frage: Wie geht es mir gerade? Was brauche ich gerade? Und dann handle nach dieser Einschätzung. Dabei kann es auch hilfreich sein, das vielleicht mit anderen zu besprechen, also Gespräche mit Kolleg*innen oder Freund*innen anzufangen, wie die sich in ihrem Arbeitsleben fühlen. Vielleicht sind da Ähnlichkeiten, vielleicht könnt ihr euch austauschen, vielleicht kann dir jemand einen besseren Rat geben oder eine Sache sagen, was ihnen geholfen hat. So ein Support-System kann helfen, nicht das Gefühl zu haben, alleine mit seinem Problem zu sein, sondern zu merken, dass es anderen oft ganz ähnlich geht.   

Was ist 5vor12? 

5 vor 12 – der psychische Druck auf im Gesundheitswesen Beschäftigte steigt zunehmen. Immer mehr Mitarbeiter*innen in Krankenhäusern, Beratungsstellen und psychosozialen Institutionen leiden selbst an psychischen Erkrankungen. Es ist, ganz wörtlich, 5 vor 12 und höchste Zeit, dass Menschen, die im Gesundheitsweisen arbeiten, zu Wort kommen und ihre beruflichen, wissenschaftlichen und persönlichen Erfahrungen mit einer breiten Öffentlichkeit teilen.  

In unseren “5 vor 12”-Interviews sprechen wir mit Expert*innen über mentale Gesundheit im Gesundheitswesen. Expert*innen sind für uns all diejenigen Personen, die im Gesundheitswesen arbeiten, als Gesundheitsberufler*in selbst von einer psychischen Erkrankung betroffen sind oder zu diesem Thema forschen. 

Du siehst dich selbst ebenfalls in einer der drei Kategorien (1) tätig im Gesundheitswesen, 2) psychisch Erkrankte*r Gesundheitsberufler*in, 3) Wissenschaftler*in mit Schwerpunkt mentale Gesundheit im Gesundheitswesen) und möchtest deine Erfahrungen gerne in einem “5 vor 12”-Interview mit uns teilen? 
 
Dann melde dich bei uns unter vorstand@blaupause-gesundheit.de 
Selbstverständlich sind auch anonyme Interviews möglich. 

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