‚Burnout‘ bei Gesundheitsberufler*innen – Warum Resilienz nicht ausreicht!

Ein Blogartikel von Eva Kuhn.

Mit der Vorstellung des neuen ICD-11[1] machte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) deutlich, dass Burnout weiterhin nicht (!) als Krankheit klassifiziert wird, sondern ein berufsbedingtes Phänomen darstellt (https://www.who.int/mental_health/evidence/burn-out/en/). Reliable Faktoren dafür, dass jemand an Burnout erkrankt, sind Arbeitsüberlastung, fehlende Kontrolle über die Arbeitstätigkeiten, unzureichende Wertschätzung der Arbeitsleistung, fehlendes Zu- und Zusammengehörigkeitsgefühl sowie fehlende Fairness und Wertkonflikte am Arbeitsplatz. – Soweit die Theorie.

In der Praxis hören erkrankte Gesundheitsberufler*innen meist anderes: „Sie brauchen einfach ein dickeres Fell.“ „Hören Sie mit den billigen Ausreden auf.“ „Sie haben sich den Beruf freiwillig ausgesucht.“ Solche Narrative konzentrieren sich ausschließlich auf die persönliche Verantwortung eines und einer jeden Einzelnen. Sie deuten Burnout als ein Zeichen individueller Schwäche, der durch Stärkung der individuellen Resilienz ‚behandelt‘ werden kann. Resilienz, also die Fähigkeit einer Person, widerstandsfähig gegenüber Stress und Belastung zu sein, ist eine wichtige Eigenschaft für Gesundheitsberufler*innen. Sie hilft ihnen beispielsweise, Notfalleinsätze und das Versterben von Patient*innen zu bewältigen. Doch folgt man der WHO, ist Burnout keine Frage der persönlichen Widerstandsfähigkeit von Gesundheitsberufler*innen. Burnout entsteht aufgrund von Belastung und Stress. Beides findet sich im ärztlichen wie pflegerischen Alltag in so hohem Maße, dass auch der*die widerstandsfähigste Gesundheitsberufler*in früher oder später in die Knie gezwungen wird. Als ‚Begleitumstand‘ beziehungsweise systembedingtes und umgebungsbezogenes Phänomen ist es folglich auch auf derselben Ebene zu adressieren: als Versagen des Systems, nicht des Individuums.

Um in Termini der Gesundheitsförderung zu sprechen, gilt demnach Verhältnis- vor Verhaltensprävention. Letztere zielt auf das Gesundheitsverhalten der einzelnen Mitarbeiter*innen. Über Aufklärung, Information und kostenlose Angebote sollen diese zu gesunder Ernährung, ausreichender Bewegung und Entspannungsverfahren motiviert werden. Verhältnisprävention hingegen zielt auf die Arbeitsbedingungen und damit strukturelle Faktoren. Dazu gehört ganz entscheidend, eine Fehlerkultur zu etablieren, die nicht in Scham und Schuld mündet. Die UK-Kampagne #LearnNotBlame setzt sich beispielsweise für eine ‚learning culture‘, statt einer ‚blaming culture‘ ein. Zu Verhältnisprävention gehören auch scheinbar basale Dinge wie Pausenräume für Mitarbeitende, ergonomische Ausstattung und ein ausgewogener Dienstplan. Auch Balint-Gruppen oder Supervision, in denen belastende Fälle aufgearbeitet werden und dadurch Resilienz gefördert wird, haben hierin ihren Platz. Ohne Rückbindung an ‚das System‘ – den Mikrokosmos Krankenhaus und den Makrokosmos Gesundheitswesen – können sie der erhöhten Prävalenz für Burnout unter Gesundheitsberufler*innen jedoch nicht nachhaltig begegnen.

Resilienz und Eigenverantwortung sind lediglich eine Seite der Medaille, und reichen alleine nicht aus. Sie wurden in den letzten Jahren stark in den Vordergrund gerückt. Es ist längst überfällig, den Fokus auf die andere Seite der Medaille zu richten: das Arbeitsumfeld, die ‚Unternehmens’kultur, die Arbeitsbedingungen.


[1] ICD steht für International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems. Das Manual wird von der WHO herausgegeben und ist weltweit als Klassifikationssystem medizinischer Diagnosen anerkannt. Die elfte Überarbeitung wurde 2018 veröffentlicht und soll ab 2022 in allen Mitgliedstaaten Anwendung finden.

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