Mentale Gesundheit ist nicht selbstverständlich.

– „5 vor 12“ mit Katharina von Blaupause – 

Ein Interview von Annika Benz.

Zum Auftakt unserer Interviewreihe “Fünf vor Zwölf” durften wir mit Katharina, der Ideengeberin unseres Vereins Blaupause – Initiative für mentale Gesundheit im Gesundheitswesen e.V. über ihre Gedanken zum Thema mentale Gesundheit, ihren idealen Arbeitsplatz und ihrer Ursprungsidee, diese Initiative ins Leben zu rufen, sprechen. Katharina ist aktuell 25 Jahre alt und befindet sich in ihrem praktischen Jahr im Rahmen des Medizinstudiums.  

DIE FÜNF – Einstiegsfragen: 

  1. Mentale Gesundheit ist für mich…  

ein Zustand des psychischen Wohlbefindens und seelischen Gleichgewichts, der quasi eine lebenslange Aufgabe ist, ein nie endender Weg und ein fortwährender Prozess, der damit einen dynamischen Zustand hervorbringt und alles andere als selbstverständlich ist! 

  1. Was tust Du persönlich für Deine eigene Psychohygiene, um Abstand von Deinem Berufsalltag zu bekommen? 

Ich versuche, auch zwischendurch immer mal wieder kurz in mich hineinzuhören und mir so kleine Pausen zu gönnen, z.B. in Ruhe einen Schluck Kaffee zu trinken oder ganz bewusst die Treppe zu nehmen. Außerdem versuche ich alles, was ich über mich weiß und gelernt habe, auch hier anzubringen, zum Beispiel durch motivierende Sätze oder bestimmte Werte, die ich mir dann in Erinnerung rufe. Ganz wesentlich ist es, Hilfe zuzulassen und Aufgaben abgeben zu können.  

  1. Worin siehst Du erste „Warnsignale“ beginnender psychischer Probleme bei Kolleg*innen und was tust Du persönlich, wenn Du diese bemerkst? 

Das ist nicht immer so einfach zu sehen. Wenn jemand sich anders verhält, als man es gewohnt ist oder anders kommuniziert, dann kann ein Gesprächsangebot für denjenigen sicherlich eine Erleichterung sein. Generell ist es mir wichtig, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren.  

  1. Was macht es Deiner Erfahrung nach gerade für Behandelnde/Helfende so schwer, selbst Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen? 

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es dieser Perspektivenwechsel, der vielen unheimlich schwerfällt. Normalerweise bringt man sich ja bewusst in die Rolle eines Behandlers, der die Dinge auf eine bestimmte Art und Weise sieht. Dann kann es schwierig sein, die andere Perspektive einzunehmen, aus der man sich manchmal sonst ja auch bewusst raushält. Zum anderen sind es ja gerade die helfenden Berufe, in denen man sich viel damit beschäftigt, wie es anderen geht und häufig eher vernachlässigt, wie es einem selbst geht.  

Außerdem gibt es viel Druck in diesem Bereich. Krank sein geht auch schon bei körperlichen Beschwerden schlecht. Zum Beispiel kommen viele Oberärzte auch erkältet zur Arbeit, weil sonst nicht operiert werden kann. Da fällt es dann natürlich schwer, wegen eines seelischen Unwohlseins der Arbeit fernzubleiben, auch weil man Angst hat, stigmatisiert zu werden oder von Kollegen als “faul” oder “schwach” abgestempelt zu werden. In der Medizin geht es ja auch häufig um die Parameter, die man sehen oder im Labor messen kann. Andere Dinge, die dann nicht so richtig fassbar scheinen, haben leider in vielen Fachbereichen noch nicht so richtig als ernstzunehmende Krankheiten Einzug gehalten. Auch wenn man psychische Störungen natürlich auch z.B. mit Fragebögen erfassen kann, fällt das vielen noch schwer und ist oft ungreifbar. 

  1. Was müsste sich Deiner Meinung nach ändern, um das Thema „psychische Störungen“ besonders bei im Gesundheitswesen arbeitenden Menschen zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren? 

Das Wichtigste ist, das Thema anzusprechen und da machen wir mit Blaupause schon den ersten Schritt, um etwas zu bewegen. Ich glaube, dass es das Problem ist, dass die psychische Belastung von Heilberuflern nicht ausreichend im Bewusstsein der Menschen ist und dadurch, dass man die Thematik anspricht, wird es auch ein Stück alltäglicher. Dieses Unheimliche, nicht so richtig greifbare Unbekannte, das ich eben meinte, wird dadurch ein bisschen weniger fremd. 

Im zweiten Schritt kann man versuchen, auf einer individuelleren Ebene mehr auf sich selbst zu achten, mehr auf die Kollegen zu achten. Dann sollte man aber auch systemisch schauen, wie man Maßnahmen ergreifen kann, die das psychische Wohlbefinden der Mitarbeitenden insgesamt verbessern, ohne zu Lasten von Einzelnen zu gehen. Ich denke, dass das sogar ein Vorteil für alle ist, also auch für die Patienten. 

Die Frage aus dem Forum: 

  1. Wie stehst Du zu Apps, mit denen Diagnosen oder Interventionen im Bereich der „psychischen Gesundheit“ möglich sein sollen? 

Prinzipiell glaube ich, dass auch das etwas ist, an das man sich erstmal gewöhnen muss. Ich versuche da, nicht zu vorschnell zu urteilen. Spontan finde ich das Konzept der „automatisierten Diagnosen“ noch schwer vorstellbar, aber ich denke, dass die Digitalisierung und Automatisierung durchaus eine große Hilfe sein kann. Es gibt ja zum Beispiel verschiedene Apps, die helfen, Wartezeiten zu überbrücken oder Patienten bei einer Behandlung begleiten. Ich glaube aber auch, dass Menschen unterschiedlich sind und Unterschiedliches brauchen. Es könnte zum Beispiel gerade für jemanden, der noch nicht den Schritt wagen möchte, eine Therapie zu beginnen, gut sein, mit einem digitalen Angebot einen niederschwelligen Einstieg in eine therapeutische Richtung zu gehen. Allerdings glaube ich nicht, dass Apps den persönlichen Kontakt, das persönliche Arzt-Patienten-Gespräch ersetzen können. Persönlich finde ich Apps mit Entspannungsübungen sehr hilfreich, wenn man denn ein Mensch ist, der dafür gut zugänglich ist. 

Die Fragen zu Katharinas Expertise:  

  1. Vor Kurzem fand das erste Blaupause Impulstreffen in Heidelberg statt. Welche Erfahrung nimmst Du persönlich aus diesem Treffen mit? 

Ich nehme von unseren Treffen allgemein immer mit, dass ich es unglaublich bereichernd finde, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, die sich für das gleiche Thema begeistern können. Da finde ich, dass es sich schon jetzt lohnt für die Menschen, die wir jetzt schon erreicht haben und jeden Einzelnen, der dabei ist.  

Zudem habe ich jetzt mitgenommen, dass es ziemlich unterschiedliche Menschen gibt, die das Thema begeistert und dass man da gar nicht mit einem “Schema F” auf die Leute zugehen kann, sondern dass da ganz unterschiedliche Bedürfnisse bestehen. Das ist eine Herausforderung für uns, das auch in unserer Arbeit widerzuspiegeln. Gleichzeitig finde ich es immer wieder erstaunlich, wie viel positive Energie wenige Menschen generieren können und wie viel man damit auf einmal bewegen kann. Das kann richtig mitreißend sein.  

  1. Wie kamst Du auf die Idee, eine Initiative zur mentalen Gesundheit im Gesundheitswesen zu gründen? 

Ich habe mich mit dem Thema schon mal beschäftigt und dann auf dem DGPPN Kongress 2017 zwei sehr faszinierende Symposien zum Thema “Betroffene Profis” besucht. Daraufhin habe ich geschaut, ob es in Deutschland Initiativen zu diesem Themenkomplex gibt. Ich war so inspiriert von den Erlebnissen auf diesem Kongress, dass ich überlegt habe, ob es nicht möglich wäre, selbst eine Initiative zu gründen, die ein bisschen weniger beschränkt ist, also ein bisschen inklusiver, aber mit der Zielgruppe „Gesundheitsberufler“ gleichzeitig einen klaren, gut abgesteckten Rahmen zu haben… Ich fand, dass es sinnvoll wäre, eine Struktur zu schaffen, die Berufsgruppen-übergreifend ist. Schließlich arbeiten wir ja später auch in einem Team und sitzen letztlich alle im gleichen Boot. Gleichzeitig sollte man aber auch schauen, was das spezifische Problem dieser Zielgruppe ist, das sie so anfällig macht und sie gleichzeitig so sehr hemmt, sich Hilfe zu suchen oder sich selber zu helfen. Außerdem finde ich den Fokus auf mentale Gesundheit und nicht so sehr auf Krankheit wichtig, um auch die Menschen mit an Bord zu haben, die nicht krank sind oder sich nicht als krank sehen und so ein Angebot zu schaffen für alle, die sich dafür interessieren und ein Bedürfnis haben, etwas zu bewegen.  

  1. Welche Möglichkeiten eröffnet Blaupause für Mitglieder und Nicht-Mitglieder? 

Blaupause eröffnet erstmal den Dialog und schafft eine Plattform sich auszutauschen. Der Verein lädt dazu ein, sich mit dem Thema zu beschäftigen, gerne auch kritisch. Wir wollen ein Katalysator dafür sein, verschiedene Veranstaltungen zu organisieren und es leichter zu machen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Außerdem haben wir natürlich auch zum Ziel, selbst Erkenntnisse zu generieren und langfristig einige der Fragen, die wir uns jetzt stellen, zu beantworten. 

  1. Wo siehst Du den Verein Blaupause in 5 Jahren? 

Ganz schwierig… Also erstmal bin ich ziemlich froh, dass ich darauf noch keine konkrete Antwort habe, weil das heißt, dass wir noch relativ offen sind und dass noch viele Weichen gestellt werden können. Das ist gerade eine unglaublich spannende Zeit und wir sind ja auch noch sehr jung. Ich könnte mir vorstellen, dass wir perspektivisch in 5 Jahren viele Lokalgruppen haben, die lokale Veranstaltungen etablieren, dass wir es schaffen, selber Forschung zu generieren und da in die Richtung aktiver werden. Ich hoffe, dass dann viele Menschen von uns wissen und, wenn sie sich mit dem Thema beschäftigen, auf uns stoßen.  

  1. Wie sähe für Dich der ideale Arbeitsplatz im Gesundheitswesen aus? 

Dort herrschen Strukturen, die es möglich machen, dass jeder im gesunden Maße für seine psychische Gesundheit sorgen kann und darf, die gleichzeitig gesundheitsfördernd und präventiv sind und Krankheit trotzdem nicht stigmatisieren. An meinem idealen Arbeitsplatz herrscht außerdem ein Klima, wo man sich wohlfühlen darf, wo man sich unterstützt fühlt und wo es eher um das mehr an Gesundheit als um das weniger an Krankheit geht, wo alles auf diesem Spektrum erlaubt ist.  

DIE ZWÖLFTE – Abschlussfrage: 

  1. Welchen Rat möchtest Du Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten oder sich in einer entsprechenden Ausbildung befinden, hinsichtlich ihrer eigenen mentalen Gesundheit mit auf den Weg geben? 

Psychische Gesundheit ist nicht selbstverständlich und etwas, das man hegen und pflegen muss. Ich glaube, einer der Schlüssel ist, sich selbst zu kennen mit seinen Grenzen und Stärken, auf sich und auf einander Acht zu geben und nicht zu vergessen, dass man auch als Helfender, jemand ist, der sich helfen lassen darf. 

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