Dieser Beitrag ist anonym veröffentlicht worden, damit keine Rückschlüsse auf einzelne Personen oder Kliniken gezogen werden können.
Die Lage ist ernst! Auch wenn man es noch nicht in allen Krankenhäusern merkt, so kommt die Welle bereits auf uns zu. Eine Welle, die uns in den Krankenhäusern an unsere Grenzen bringen wird. Und genau darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten, was offensichtlich noch nicht schnell genug passiert. Langsam werden einige Stationen geschlossen, viele Patient*innen nach Hause geschickt, Stationen und sogar OP-Säle zu Corona-Stationen umgebaut. Die ersten Kolleg*innen fallen aus, entweder weil sie sich auf den Corona-Virus testen lassen oder sich bereits in häuslicher Quarantäne befinden.
In dem Krankenhaus, in dem ich tätig bin, merkt man dieser Tage nicht selten Unruhe, welche sich in den Stationszimmern breit macht. Keiner weiß, wann die erste Welle an Corona-Patient*innen auf unsere Stationen trifft und wie viele es sein werden. Die Vorbereitung auf die nächsten Wochen wird durch diverse Patient*innen-Entlassungen auf einigen Stationen deutlich, wohingegen andere durch Verlegungen bereits jetzt an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Es kommt zu Szenarien mit einem Pfleger*innen-Patient*innen-Schlüssel von 2 zu 24, was alles andere als zumutbare Arbeitsbedingungen sind. Für die Einen die Ruhe vor dem Sturm, ist für die Anderen keine Zeit mehr zum Durchatmen.
Der Präsident der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft Dr. Gaß hat gesagt, dass Krankenhäuser in den Krisenmodus wechseln sollen, d.h. ab sofort sollten alle nicht akut notwendigen Aufenthalte und Operationen abgesagt, dafür Corona-Stationen aufgebaut und Personal geschult werden. Die hierdurch entstandene Entlastung sollte genutzt werden, um dem Pflegepersonal die Möglichkeit zu gewähren, angesammelte Überstunden abzubauen und Kraft zu tanken für die schwere bevorstehende Zeit. So die Theorie. In der Praxis spüre ich davon allerdings nicht viel.
Dass diese von Expert*innen empfohlene Strategie nicht rigoros durchgesetzt wird, macht wütend. Es gibt bereits einen Pflegenotstand und schon jetzt fallen immer mehr Kolleg*innen wegen Krankheit, Corona-Tests, Quarantäne oder Kinderbetreuung aus.
Wo ist denn die Notgruppenkinderbetreuung für Familien, in denen nur ein Elternteil einem systemrelevanten Job nachgeht? Ein produktives Homeoffice ist mit zwei Kindern zuhause nur begrenzt möglich, wenn diese bekocht, bespielt und schulisch unterstützt werden müssen. Es bleibt eine Mammutaufgabe, Kinderbetreuung und Arbeit zuhause unter einen Hut zu bekommen. Die Großeltern sollten nun auch nicht mehr eingebunden werden, so dass auch hier eine unterstützende Säule entfällt.
Wenn ich jetzt höre, dass die Intensivbettenanzahl erhöht werden soll, frage ich mich nur, wo denn das ganze Personal dafür herkommen soll? Wir brauchen ganz dringend mehr Menschen, die uns aushelfen. Sei es Medizinstudierende, Personen im Ruhestand oder Berufswechsler*innen. Jeder und jede ist gefragt, sich jetzt solidarisch zu zeigen, sich zu melden und mitzuhelfen! Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Betten füllen und die Anzahl der Patient*innen die Kapazität der intensivmedizinischen Behandlung übersteigt. Wenn ich mir die Berichte und Bilder über Italien angucke, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Ich will nicht Menschen beim Sterben zusehen, nur weil es zu wenige Beatmungsgeräte, Intensivbetten oder Personal gibt und wir aufgrund von Überlebenschancen entscheiden müssen, wen wir noch behandeln können und wen nicht. Die Triage dreht sich um: Dann werden nicht mehr die alten und schwachen Patient*innen behandelt, sondern jüngere, die wahrscheinlicher genesen werden.
Medizinische Expert*innen aus Wuhan in China haben auf einer Pressekonferenz gesagt, dass Europa die Gefahr läuft, die gleichen Fehler zu machen wie diese zuvor in China und dadurch Personal und Patient*innen gefährdet werden. Das darf nicht passieren!
Eine Assistenzärztin bei uns auf Station sagte mir, dass sie diese Woche für 90 Stunden Dienst eingeteilt ist, weil einige ihrer Kolleg*innen aufgrund der Kita- und Schulschließungen wegfallen oder sich in häuslicher Quarantäne befinden. Ich frage mich, wie eine solche Arbeitsbelastung über Wochen hinweg von einem Menschen bewältigt werden soll. Noch wird darüber gescherzt, dass sie und ihre Kolleg*innen ja bald im Krankenhaus einziehen könnten. Einige hätten schon ihre Zahnbürste dabei. Es kann nicht sein, dass überarbeitete, übermüdete und dauergestresste Ärzt*innen für eine immer größer werdende Anzahl an Patient*innen verantwortlich sind.
Deswegen muss jetzt noch mehr getan werden! Es wäre schön, wenn die Forderungen von Dr. Gaß, Prof. Dr. Drosten und anderen gehört werden und Krankenhäuser mehr finanzielle Unterstützung bekämen. Wir brauchen noch schneller mehr Betten, mehr Personal und mehr Schutzkleidung. Es sollte einen Gefahrenzuschlag für das gesamte Personal im Krankenhaus geben und auch die Bezahlung der zusätzlich gesuchten Helfer*innen muss verbessert werden, damit die Bereitschaft für eine so risikoreiche, aber unerlässliche Aufgabe steigt. Wir brauchen jede helfende Hand! Es muss jetzt für das gesamte Personal mehr Anerkennung geben, welches sich schon jetzt mit Herzblut um ihre Patient*innen kümmert. In den nächsten Wochen werden immer mehr Menschen in unsere Krankenhäuser kommen und da könnte es die Oma, der Opa, die Mutter, der Vater, die Schwester, der Bruder, die Tochter, der Sohn oder Freund*in sein, welche*r bei uns in einem Bett liegt und medizinische Versorgung benötigt. Die Zustände, die woanders schon herrschen, wünsche ich mir für unsere Krankenhäuser nicht. Verdrängung und Stillstand sind nicht die Mittel der Wahl – helft aus, wo ihr könnt und macht auf Missstände aufmerksam. Solidarität lautet das Gebot der Stunde!
Die Blogeinträge spiegeln die persönlichen Meinungen und Erfahrungen der Autor*innen wider.