Hilfe und angemessene Würdigung – Aber bitte nicht (nur) mit Applaus.

Ein Kommentar von Fernanda.

Spätestens die COVID-19-Pandemie führt auch den Otto-Normalverbraucher*innen vor Augen: Die im Gesundheitswesen Tätigen sind systemrelevant. Doch wie arbeitet es sich als Pflegefachperson aktuell in diesem System?

6,8% der SARS-CoV-2-Infizierten in Deutschland sind im Gesundheitswesen tätig [Quelle: Deutsches Ärzteblatt]. Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher liegen. Über die sozialen Medien berichten Angehörige aller Gesundheitsprofessionen von Kolleg*innen, die beatmet und sediert auf der Intensivstation liegen, und von Kolleg*innen, die an SARS-CoV-2 verstarben. Entsprechend liegen die Nerven in Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeheimen und anderen Gesundheitseinrichtungen blank [Quelle: ZEIT Online] – an dieser Stelle noch völlig abgesehen von den hohen zusätzlichen Belastungen die durch Corona und die nötigen Maßnahmen im Gesundheitssystem entstehen.

Wie sich die Arbeitsbedingungen in “systemrelevanten” Berufen aktuell wirklich darstellen, bleibt dem Laien verborgen. Zu kurzlebig und fragmentiert ist die Berichterstattung – besonders wenn es um die Situation von Gesundheits- und Krankenpfleger*innen geht. Ohne sie würde jedes Krankenhaus und jedes Pflegeheim in kürzester Zeit kollabieren. Oder passiert genau das momentan vielleicht schon mancherorts?. Systemrelevant im Gesundheitssystem zu sein, heißt aktuell nämlich, unterbesetzt, unterbezahlt, sich selbst gefährdend (oder sogar schädigend) zu arbeiten, und dabei noch Ausgrenzung und Ablehnung durch andere zu erfahren.

System… – aktuelle Arbeitsbedingungen

Um der COVID-19-Pandemie Herr zu werden, wurde von der Bundesregierung im Rahmen eines Maßnahmenbündels – zur „Entlastung“ von Pflegebedürftigen und Pflegekräften – beschlossen, die Regelung zu Pflegepersonaluntergrenzen vorübergehend auszusetzen. Konkret heißt dies, dass unter anderem auf der Intensivstation eine Pflegefachperson in Tagschicht zwischenzeitlich mehr als die festgelegten 2,5 Patient*innen betreuen durfte/ musste [Quelle: Bundesregierung]. – Ob es maximal drei, vier oder fünf Patient*innen sein dürfen, ist nicht festgelegt. Dies steigert nicht nur die Arbeitsbelastung um ein Vielfaches. Den Pflegenden wird dadurch gerade auf den von SARS-CoV-2-Infizierten besonders herausgeforderten Intensivstationen verunmöglicht, die nach ihrem Wissen und Gewissen beste Pflege und Patientenversorgung zu erbringen.

Die Versorgung von Patient*innen findet gerade nicht nur unter hohem Zeitdruck statt: Auch noch Wochen nach Ausbruch von COVID-19 fehlt in Gesundheitseinrichtungen aller Art persönliche Schutzausrüstung: Desinfektionsmittel, Einmal-Mundschutz, FFP2-/FFP3-Masken, Einwegoveralls und so weiter und so fort [Quelle: Tagesschau]. Diese zur Verfügung zu stellen, ist nicht nur eine gesetzlich verbriefte Pflicht des Arbeitgebers (§ 3 Arbeitsschutzgesetz). Vielmehr ist sie gerade für die hoch-infektiöse SARS-CoV-2 unabdingbar um einen ausreichenden Schutz der Pflegefachpersonen vor Ansteckung zu gewährleisten. Doch werden die bisherigen infektiologischen Erkenntnisse zu COVID-19 und der Übertragung des Erregers durch eine Lockerung der Hygienemaßnahmen von Seiten des Robert Koch-Instituts konterkariert: Schon die Produktbezeichnung ‚Einmal-Mundschutz‘ legt nahe, wie oft so ein Mundschutz verwendet werden soll und darf – exakt ein Mal. Die ausführliche Empfehlung zur Wiederverwendung [Quelle: RKI] ist zwar vielleicht gut gemeint, sendet aber falsche Signale. ‚Wenn der Mundschutz im Notfall wiederverwendet werden kann, ist der Lieferengpass ja nicht so schlimm‘, mag sich der eine oder die andere Politiker*in oder Geschäftsführer*in denken. ‚Was zum Geier‘, denkt sich hingegen die Pflegefachperson, die nach einer Schicht von zwölf oder mehr Stunden zuhause noch ihren Mundschutz bei 60°C waschen muss – oder gar mit Kolleg*innen selbst provisorische Mundschutze bastelt, um zumindest die Illusion von Schutz aufrechtzuerhalten.

Die Liste an Mängeln bezüglich der Arbeitsbedingungen von Pflegefachpersonen könnte hier noch weitergeführt werden: keine regelmäßig stattfindenden Tests auf SARS-CoV-2 für Gesundheitsprofessionen; verkürzte oder keine Quarantäne, wenn infizierte Gesundheitsberufler*innen keine Symptome zeigen; Diskussionen um eine Zwangsverpflichtung von Ärzt*innen und Pflegefachpersonen im Krisenfall [Quelle: Hannoversche Allgemeine]. Doch zeigen schon diese wenigen Schlaglichter, was es wirklich heißt, aktuell “systemrelevant” zu sein.

…relevanz – Fürsorge, Selbstsorge, Anerkennung

Dass das Gesundheitssystem krankt und zu hinterfragen ist, ist nicht erst seit der COVID-19-Pandemie klar. Die Relevanz, die das Gesundheitswesen während einer Pandemie hat, zeigt sich momentan. Eine grundsätzliche Aufwertung scheint, über kurzfristige Maßnahmen hinaus, die den Anforderungen nicht oder kaum genügen, weiterhin jedoch nicht auf der politischen Agenda zu stehen.

An dieser Stelle möchten wir unsere Gedanken dazu formulieren, was für  Pflegefachpersonen (beispielsweise) – nicht nur während einer Pandemie, relevant ist:

  • sich selbst – und damit die Patient*innen! – vor Ansteckung zu schützen.
  • Auszeiten zur Regeneration zu haben, und Selbstsorge neben Fürsorge einen eigenen Stellenwert einräumen zu können.
  • transparent und offen über aktuelle Entwicklungen im Krankenhaus/ dem Pflegeheim unterrichtet zu werden.
  • an Entscheidungen, die ‚die Pflege‘ betreffen, zu partizipieren – auf Ebene der Organisation, der Kommune und auf Bundesebene.
  • Rückendeckung durch Politik und Klinikleitung zu erfahren.
  • gesellschaftlich wertgeschätzt und als eine wichtige Säule des Gesundheitssystems anerkannt zu werden.
  • ihrer Systemrelevanz angemessen und im Hinblick auf ihre aktuell oft unvermeidbare Selbstgefährdung/ -schädigung adäquat entlohnt zu werden
  •  

Liebe Politiker, grundsätzliche Änderungen sind notwendig. Zum Wohl des gesamten Landes. Während der Pandemie und danach. Applaus reicht nicht aus.

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