Menschen in Gesundheitsberufen kümmern sich um die körperliche und psychische Genesung anderer. Sie tragen eine große Verantwortung und haben gleichzeitig einen hohen Anspruch an sich selbst: Die Hilfe, die man bereitstellt, soll möglichst effektiv sein und zum Erfolg führen. Im Alltag stehen Menschen in Gesundheitsberufen aber der Situation gegenüber, dass ihre Hilfe manchmal nicht ausreicht. Sie müssen zum Teil sehr schwere Patientenschicksale miterleben. Dazu kommen lange Arbeitszeiten und ökonomischer Druck.
So ist es nicht unüblich, dass eine Pflegekraft keine Pausen machen kann oder ein Arzt wie selbstverständlich ständig unbezahlte Überstunden leistet. Beispielsweise arbeiten 40% der Ärzt*innen zwischen 49 und 59 Stunden pro Woche. 20% geben eine Arbeitszeit von 60 bis 79 Wochenstunden an – inkl. aller Überstunden und Dienste (MB-Monitor 2017).

Laut der WHO gehören Stress und seine Folgen derzeit zu den größten gesundheitlichen Herausforderungen. In Gesundheitsberufen ist dieser Stress wahrscheinlich auf die spezifischen psychosozialen Arbeitsbelastungen auf Seiten der Beschäftigten zurückzuführen. So sehen sich Beschäftigte im Gesundheitswesen konfrontiert mit:

· Leid und Tod,
· branchentypischen Anforderungen wie Schicht-, Nacht- und Wochenenddiensten,
· Strapazen durch ständige Arbeitsunterbrechungen und
· Rationalisierungs- und Einsparungsmaßnahmen und Outsourcing von Krankenhausbereichen (Faller und Störkel, 2017).

Intuitiv würde man vielleicht vermuten, dass gerade Beschäftigte aus diesem Sektor ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein haben sollten und sie so den negativen Auswirkungen von Stress und Belastung besser entgegenwirken könnten. Doch dies scheint nicht zwingend der Fall zu sein. Vielmehr ist dies vielleicht ein gesellschaftlicher Anspruch: Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten, sollten doch „Gesundheitsexpert*innen“ sein und eine makellose Stressbewältigung haben (BDP, 2008). Wenn dies nicht gelingt, entsteht bei Betroffenen häufig das Gefühl, „versagt“ zu haben (McKevitt & Morgan, 1997). Schamgefühle, Angst vor Stigmatisierung oder Verlust der beruflichen Existenz stellen wichtige innere Hürden dar, die es medizinischem Personal schwer machen, auch ihrer eigenen (psychischen) Gesundheit einen hohen Stellenwert beizumessen (BDP, 2008). So berichten auch in einer britischen Studie zwei Drittel von 678 befragten britischen klinischen Psycholog*innen von psychischen Problemen und geben als Gründe, keine psychotherapeutische Hilfe zu suchen, Scham und die Befürchtung negativer Konsequenzen für die Karriere und sich selbst als Kolleg*in an (Tay et al., 2018).

Das bleibt nicht folgenlos. Pflegekräfte sind überproportional von Depression und anderen psychischen Erkrankungen betroffen (TK-Depressionsatlas 2015). Weltweit weisen 28,8% der jungen Ärzt*innen depressive Symptome auf, wie eine gebündelte Prävalenz ergab (Mata et al., 2015). Die Suizidrate ist bei Ärztinnen 2,3-fach höher als in der Allgemeinbevölkerung (Schernhammer und Colditz, 2004). Wissen um psychische Erkrankungen scheint hier kein Schutz zu sein: In einer Pilotstudie (2008) gaben 44,6% der Ärzt*innen (Psychiater*innen) an, nach Selbstberurteilung bereits eine depressive Episode nach ICD-10 gehabt zu haben (Braun et al., 2004). Auch wenn solche Zahlen mit Vorsicht zu interpretieren sind, ist der Trend doch unverkennbar. Diese Entwicklung beginnt häufig bereits in der Ausbildung. Eine Meta-Analyse im Jahr 2016 ergab, dass die Prävalenz von Depressionen bzw. depressiven Symptomen bei Medizinstudierenden etwa 27% betrug, die von suizidalen Gedanken etwa 11%.

Die hohe Belastung und ihre Auswirkungen und der gleichzeitige ökonomische Druck und die ausufernde Bürokratie sind vermutlich der Grund dafür, dass 19% der Ärzt*innen überlegen, die ärztliche Tätigkeit komplett aufzugeben (MB-Monitor 2017). Stressassoziierte Erkrankung durch die deutlich erhöhte psychosoziale Arbeitsbelastung zu erleiden, wird außerdem dadurch begünstigt, dass mehr als 80% des nicht-ärztlichen OP-Personals sich in einer beruflichen Gratifikationskrise befinden, also von einem Missverhältnis von Belohnung und Verausgabung berichten (Rasch et al,. 2017).

Beschäftigte im Gesundheitswesen sind hohen Anforderungen ausgesetzt. Dass sich dies auf die psychische Gesundheit auswirkt, ist nachvollziehbar. Doch warum fällt es „Profis“ so schwer, sich helfen zu lassen? Und gibt es einen Weg, dies zu ändern?

Literatur
Braun, M., Schönfeldt-Lecuona, C., Kessler, H., Beck, J., Beschoner, R., Freudenmann, R.W. (2008): Burnout, Depression und Substanzgebrauch bei deutschen Psychiatern und Nervenärzten: Ergebnisse einer Pilotstudie. Nervenheilkunde 27, 800–804. https://doi.org/10.1055/s-2007-970628
Faller, Gudrun; Störkel, Friederike (2017): Wer hilft den Helfern? Gesundheitsförderung im Krankenhaus, in: Faller, Gudrun (Hrsg.): Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. 3. Aufl. Hogrefe: Bern, S. 370.
Mata DA, Ramos MA, Bansal N, et al. (2015) Prevalence of Depression and Depressive Symptoms Among Resident Physicians. A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA. 2015;314(22):2373–2383. doi:10.1001/jama.2015.15845
McKevitt, C., & Morgan, M. (1997). Illness doesn’t belong to us. Journal of the Royal Society of Medicine, 90(9), 491–495.
MB-Monitor 2017: http://www.marburger-bund.de/sites/default/files/dateien/seiten/mb-monitor-2017/gesamtauswertung-mb-monitor-2017-presse-pk-website.pdf
Rasch, Damaris; Dewitt, Tanja; Eschenbeck, Heike (2017): Stress im Krankenhaus. Eine Studie zu psychosozialen Arbeitsbelastungen von nichtärztlichem OP-Personal, in: Prävention und Gesundheitsförderung 4, 285-293. DOI 10.1007/s11553-017-0593-2.
Rotenstein LS, Ramos MA, Torre M, et al. (2016): Prevalence of Depression, Depressive Symptoms, and Suicidal Ideation Among Medical StudentsA Systematic Review and Meta-Analysis. JAMA. 316(21):2214–2236. doi:10.1001/jama.2016.17324
Schernhammer, E.S., Colditz, G.A. (2004): Suicide Rates Among Physicians : A Quantitative and Gender Assessment (Meta-Analysis). The American Journal of Psychiatry 161, 2295–2302.
Tay, S.; Alcock, K.; Scior, K. (2018): Mental health problems among clinical psychologists: Stigma and its impact on disclosure and help-seeking. Journal of Clinical Psychology. DOI: 10.1002/jclp.22614.
TK-Depressionsatlas 2015. https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/696244/Datei/2288/Depressionsatlas-2015.pdf
Psychologinnen, B. D. Psychologen (BDP)(Hrsg.)(2008): Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in Deutschland. Berlin: http://www. bdpverband. de/aktuell/2008/bericht/BDP-Bericht-2008_Gesundheit-am-Arbeitsplatz. pdf (03.04. 2012).