Petzold und Lehmann definieren mentale Gesundheit als die Fähigkeit und Möglichkeit die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ziele ausreichend und erfolgreich zu kommunizieren. (Petzold und Lehmann 2011) Sie beschäftigen sich mit der Frage nach erfolgreicher Kommunikation in professionellen, transkulturellen Kontexten und schöpfen dabei u. a. aus Antonovskys Forschungen zur Salutogenese. Kulturen werden hier verstanden als Kommunikationssysteme, die sich durch eine Kohärenz an historisch entwickelten semiotischen Systemen kennzeichnen (z. B. Sprache, Rituale). Nach Milton Bennett, Professor für Interkulturelle Wissenschaften und Gründer des Intercultural Communication Institute in Oregon/USA, ist Kultur ein Prozess, in welchem Gruppen aus Individuen Sinn und Handlungsprogramme koordinieren. Somit entstehen institutionelle Artefakte und Verhaltensmuster. (Bennett 2013) Demnach geht es bei Kultur um die reine Handlungsebene: Wie denke ich? Wie verhalte ich mich? Wie kommuniziere ich?

Dabei sind das, was als eigene Kulturen bezeichnet wird, eben solche Handlungsprogramme, die sich vertraut anfühlen. Je nach Kontext existiert ein anderes Handlungsprogramm. Wenn man davon ausgeht, dass kulturelle Handlungsprogramme nicht nur etwas mit Ländern oder Subgruppen zu tun haben, sondern ganz allgemein mit allen möglichen Kontexte, dann trägt jede Person verschiedene Handlungspogramme in sich. Je nachdem in welchem Kontext sie sich befindet, werden unterschiedliche Programme aktiviert. Im Beratungszimmer denkt und verhält sich eine Person anders, als im Untersuchungsraum, anders als zuhause am Küchentisch und anders als beim Elternabend oder in der Badewanne. Kommunikationsmuster am Arbeitsplatz entspringen sicherlich mehreren Programmen: Wie wurde früher zuhause kommuniziert? Wie habe ich gelernt mich am Arbeitsplatz zu verhalten? Inwieweit kann ich welche Anteile von mir zeigen oder nicht? Wo habe ich gelernt mich wie zu schützen?

Wenn nun mentale Gesundheit bedeutet Bedürfnisse kommunizieren zu können, so braucht das Gesundheitswesen eine gute bedürfnisorientierte Kommunikationskultur auf der eigenen/inneren, Team-, Abteilungs-, Einrichtungs- und Öffentlichkeitsebene. Dabei sollen Teamgespräche nicht in Selbsthilfegruppen umgewandelt werden. Vielmehr lautet die Frage, wie eine solche Kommunikationskultur durch veränderte Strukturen gefördert werden kann (z. B. spezielle Abmachungen im Team – Wann reden wir wie über unsere eigene mentale Gesundheit?). Im Gegensatz zum privaten Bereich müssten die Strukturen so angelegt sein, dass sie vor einem Gesichtsverlust besser schützen. Immerhin sollten Fachkräfte weiter in ihren Rollen als Fachkräfte belassen werden können. Bei einem grippalen Infekt wird bspw. auch nicht erzählt wie es dazu gekommen ist und warum er einen en detail arbeitsunfähig gemacht hat. Das Reden über psychische Störungen kann ebenfalls auf verschiedenen Ebenen funktionieren. Die intim-persönliche Ebene muss dabei ebenso wenig auftauchen wie ungefragte Ratschläge.

Nach Petzold und Lehmann sollten sich emotionale Bedürfnisse durch Veränderungen in Kommunikationsprogramme integrieren lassen. Je mehr allerdings Kommunikation auf Zweckmäßigkeit und Effizienz ausgelegt ist, desto weniger Belang scheinen emotionale Kommunikationsmuster zu haben. Implizite emotionale Interaktionen sind dann von stärkerer Bedeutung (z. B. alles Ungesagte, dass dennoch z. B. im Unterton mitschwingt). Wie können also gute Kommunikationskulturen und Anforderungen von Patient*innen und Klient*innen, Team, Arbeitgebenden und der Gesellschaft koexistieren?

Kommunikation und mentale Gesundheit hängen unweigerlich zusammen. Mentale Gesundheit im Gesundheitssystem bedeutet also auch, sich über Bedürfnisse, Wünsche und Ziele austauschen zu können. Im Kleinen könnte das bereits damit anfangen, über Befindlichkeiten und Warnsignale zu sprechen.

Quellen:
Bennett, Milton (2013): Culture is not like an iceberg. Online verfügbar unter https://www.idrinstitute.org/2013/05/06/culture-not-like-iceberg/. Zuletzt überprüft am 05.07.18.
Petzold, Theodor Dierk; Lehmann, Nadja (2011): Salutogenesis, globalization, and communication. International Review of Psychiatry, 23:6, S. 565-575, DOI: 10.3109/09540261.2011.639351. Online verfügbar unter https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.3109/09540261.2011.639351?needAccess=true. Zuletzt überprüft am 05.07.18.