Ein Beitrag von Eva Kuhn.
Der Titel des Perspective-Beitrags von Pamela Hartzband und Jerome Groopman im New England Journal of Medicine mag verwundern. Gerade während der COVID-19 Pandemie soll das Auftreten von Burnout unter Ärzt*innen ‚unterbrochen‘ sein?
Mit Blick auf das US-amerikanische Gesundheitssystem legen die beiden Autor*innen verschiedene Entwicklungen dar [1]:
- Ärzt*innen aller Altersstufen, bis hin zu Assistenzärzt*innen und Medizinstudierenden zeigen Anzeichen von Burnout (Dies gilt auch für Deutschland [2].).
- Bisherige Ansätze, die vor allem eine verhaltenspräventive Stoßrichtung verfolgen, d.h. das Verhalten der Ärzt*innen durch Entspannungs- und Ernährungsprogramme,e Sportkurse und ähnliches adressieren, haben keine nennenswerten Auswirkungen auf die Burnout-Prävalenz (siehe hierzu auch [3]).
- Die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte und von Leistungskennzahlen im US-amerikanischen Gesundheitssystem hat der Ökonomisierung und Bürokratisierung weiteren Aufwind gegeben.
Unter Rekurs auf die Selbstbestimmungstheorie von Marylène Gagné und Edward L. Deci [4] ordnen die Autor*innen diese Entwicklungen in den größeren Zusammenhang von extrinsischer und intrinsischer Motivation ein. Die im US-amerikanischen Gesundheitssystem gesetzten extrinsischen Motivatoren wie Boni und Incentives unterminierten die intrinsische Motivation der Ärzt*innen, ihre ‚Berufung‘. Vielmehr würden die Faktoren intrinsischer Motivation – Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit – ausgehöhlt oder bei der Restrukturierung ganz weggenommen werden. Dies führe zu „Amotivation“ und damit Burnout.
Dieser Ansatz erklärt auch, weshalb für die Zeit der COVID-19 Pandemie von den Autor*innen eine Unterbrechung des Burnout konstatiert wird: Quasi über Nacht wären Teile der drei Elemente Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit wiederhergestellt worden. Die hochunsichere Krisensituation hätte den Altruismus und die Fürsorglichkeit wieder verstärkt auf den Plan gerufen – beides intrinsische Motivatoren, mit welchen viele Ärzt*innen ins Berufsleben starten.
Inwieweit Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit im Rahmen der COVID-19 Pandemie im US-amerikanischen Gesundheitssystem wiederhergestellt werden, führen Hartzband und Groopman nicht aus. – Für Deutschland bleibt die Überlegung, ob sich der Titel des Beitrags, „Physician Burnout, Interrupted“ unterschreiben lässt. Oder ob die Pandemie mit Mangel an persönlicher Schutzausrüstung, Verkürzung von Quarantäne-Zeit, Aussetzung von Personaluntergrenzen, etc. Ärzt*innen – und andere Gesundheitsprofessionen! – nicht eher (schneller) in den Burnout treibt.
[1] Hartzband, Pamela & Groopman, Jerome (2020): Physician Burnout, Interrupted, in: NEJM, online first vom 1. Mai 2020. DOI: 10.1056/NEJMp2003149.
[2] Siehe bspw.: https://blaupause-gesundheit.de/journal-club-arbeitsbedingungen-und-gesundheitszustand-junger-arzte-und-professionell-pflegender-in-deutschen-krankenhausern/.
[3] Panagioti, Maria; Panagopoulou, Efharis; Bower, Peter; Lewith, George; Kontopantelis, Evangelos; Chew-Graham, Carolyn; Dawson, Shoba; van Marwijk, Harm; Geraghty, Keith & Esmail, Aneez (2017): Controlled interventions to reduce burnout in physicians: a systematic review and meta-analysis, in: JAMA Intern Med 177, p. 195-205.
[4] Gagné, Marylène & Deci, Edward L. (2005): Self-determination theory and work motivation, in: Journal of Organizational Behaviour 26(4), p. 331-362.