Achtsamkeit und psychische Erkrankungen

Warum Achtsamkeit gerade für psychisch erkrankte Menschen wichtig ist – von Fernanda Hübner

„Achtsamkeit“ ist gerade in aller Munde, zumindest kommt es mir so vor. Und wie bei Vielem was irgendwie irgendwann mal zum Trend wurde ist die eigentliche Essenz, der Kern der Sache nicht mehr unbedingt klar. Nicht mehr transparent:  “Wozu eigentlich Achtsamkeit ?” Das macht man halt so. Wie Yoga oder grüne Smoothies, weil es wohl irgendwie gut tut. 

Da mich Achtsamkeit persönlich sehr bereichert und ich es auch in der Anwendung mit Klienten als teils notwendige Ergänzung erfahre wollte ich mir nochmal Gedanken machen was genau ich daran eigentlich so wichtig finde. 

Achtsamkeit heißt: Bewusstes, absichtsvolles Wahrnehmen von dem was ist. Das können Sinnesreize, Körperempfindungen, Gedanken oder Gefühle sein. Das Wahrgenommene soll möglichst wertfrei betrachtet oder registriert werden. Da das dann aber schon eher in die Königsdisziplin fällt geht es zunächst eher darum, sich der Bewertungen, die man automatisch ständig vornimmt, bewusst zu werden. Der nächste Schritt wäre dann die Akzeptanz der Dinge/Wahrnehmungen, sie anzunehmen so wie sie sind. Achtsamkeit hat zunächst also noch nichts mit Entspannung zu tun, sondern bezeichnet mehr eine entspannte Aufmerksamkeit, die man auf etwas ruhen lässt. Dieser Fokus führt dazu, dass das Gehirn sich nicht in grübelnden Gedankenschleifen, Gedanken über Gegenwart oder Zukunft o.Ä verlieren kann sondern auf die Gegenwart, das “Hier und Jetzt” gerichtet wird. 

„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ (Viktor Frankl) 

Durch den Schritt des Beobachtens der eigenen Wahrnehmungen gelingt es, nicht mehr in Gefühlen oder Gedanken fest zu stecken, sondern sie von außen zu betrachten und somit eine gesunde Distanz dazu einnehmen. Durch diesen Abstand und das Entkoppeln von bisher automatisch ablaufenden Reiz-Reaktions-Mustern können wir uns dann BEWUSST überlegen wie wir etwas sehen wollen und wie wir handeln möchten. Das führt zu einer Selbstbefähigung die Jedem zugute kommt. Besonders profitieren könnten davon aber Menschen die psychisch belastet oder erkrankt sind. 

Psychische Erkrankung zeichnet sich meiner Meinung nach besonders dadurch aus, dass die Handlungsfreiheit des Erkrankten stark eingeschränkt ist: Denken, Fühlen und Wahrnehmung sind verändert und beeinträchtigt. Wer unter Ängsten, Zwängen, starker Niedergeschlagenheit oder Ähnlichem leidet hat nicht die Möglichkeiten zur Selbstregulation, die einem psychisch gesunden Menschen zur Verfügung stehen. Der eigene Kopf kann dann zum größten Gegner werden und die Dinge, die zur Genesung nötig wären, zu unerreichbar scheinenden Aufgaben. Daraus können Gefühle wie Kontrollverlust, Hilflosigkeit bis hin zur Verzweiflung entstehen. Achtsamkeit kann an diesem entscheidenden Punkt ansetzen. 

Auch die neurophysiologischen  Effekte, wie die Hemmung der Amygdala (beeinflusst u.A die emotionale Regulation) rücken immer stärker in den Fokus der Forschung: Was einen praktizierenden Buddhisten wohl kaum vor Erstaunen vom Hocker werfen würde, kann nun auch der Westler guten Gewissens glauben:  Achtsamkeit fördert  unter Anderem die innere Klarheit, Gelassenheit, Konzentration, Ausgeglichenheit, Stressverarbeitung sowie die verbesserte Wahrnehmung von körperlichen und emotionalen Signalen. Letzteres, die sensiblere Selbstwahrnehmung, ist essentiell um das eigene Empfinden gut wahrzunehmen und gut für sich zu sorgen. 

Da sich Achtsamkeit in jedem Aspekt des Alltags praktizieren lässt (achtsames Gehen, Essen, Trinken, Händewaschen…) können die vielfältigen Achtsamkeitsübungen relativ unkompliziert in das Leben eingefügt werden. Es handelt sich hierbei auch nicht allein um Techniken, die man trainiert, sondern vielmehr um eine innere Haltung: Wie möchte ich durchs Leben gehen, wie aktiv möchte ich mein Leben gestalten, „glaube“ und identifiziere ich mich automatisch mit jedem meiner Gedanken und Gefühle obwohl auch sie einem ständigen Kommen und Vergehen unterworfen (also vergänglich) sind? 

(…) I am the master of my fate, I am the captain of my soul.“ (William Ernest Henley) 

Mein eigener Weg zu mehr Achtsamkeit führte von autogenem Training über Entspannungsmusik und Audiohypnose hin zu geführter Meditation. Durch das Wiederholen verschiedener Übungen erfuhr ich die bisher wirksamste Möglichkeit um mich tief zu entspannen und mir langfristig eine Art inneren, stabilen Kern an Gelassenheit aufzubauen. Ich versuche, diesen Kern immer wieder zur Ausgangsposition meines Handelns zu machen und auch immer wieder dazu zurück zu kommen. Das erleichtert mir den Umgang mit meinen Gedanken und Gefühlen, mit Anderen und Belastungssituationen extrem. Gleichzeitig hat es mir das vermittelt, was alle “ Meine positiven Eigenschaften”-Listen nicht tief in mir verankern konnten:  Ein Vertrauen in mich und darin, dass ich meinen Gedanken und Gefühlen nicht ausgeliefert bin. Ich kann mein Leben beeinflussen und lenken.  

Aus eigener Erfahrung und aus der mit psychisch erkrankten Klienten weiß ich, dass das Erfahrungen sind nach denen Viele streben. Die Achtsamkeit bringt uns ein Jahrtausendealtes Konzept um diese Fähigkeiten zu schulen und in uns selbst zu entwickeln.  

Hast du Erfahrungen mit dem Thema “Achtsamkeit”? Wir würden uns über deine Rückmeldungen in den Kommentaren freuen. 

2 Gedanken zu „Achtsamkeit und psychische Erkrankungen

  1. Sil Antworten

    Genau so. Selbst- Achtung im Sinne von Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse und Erlangen einer Gelassenheit, die ich selbst herstellen und bewahren kann, tun wohl.
    Letztendlich auch die Gewissheit, dass ‚es wieder besser wird‘. Und das sich mit guttuenden Menschen umgeben- wenigstens zunächst im Privaten.

  2. Pingback: Die Persönlichkeit des Helfers macht aus, dass er gerne gibt – und deshalb häufig wenig bei sich selbst ist. – Blaupause Gesundheit

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